Vollversion (5.41 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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HAUPTBEITRÄGE<br />
mächtiger gesellschaftlicher Akteure als eine<br />
Form der gewalttätigen Intervention in die Lebensbereiche<br />
derjenigen, die dagegen protestieren,<br />
darstellt - Fragen dieses Typs bleiben<br />
bei der Thematisierung kollektiver Protestformen<br />
ausgeschlossen. Wer sie stellt - und hier<br />
zeigt sich die reflexive Funktionsweise dieses<br />
Mythos - disqualifiziert sich selbst bereits als<br />
jemand, der oder die den Boden der unthematisierten<br />
Gemeinsamkeit aller Gutwilligen verlassen<br />
hat.<br />
Diese reflexive Struktur, die vor argumentativen<br />
Angriffen schützt, indem sie die Teilnahmebedingungen<br />
am Diskurs festlegt, ist ein<br />
wesentliches Kennzeichen der Wirkungsweise<br />
dieses Mythos. Das klassische Beispiel aus der<br />
bundesdeutschen Geschichte, an dem sich dieses<br />
Phänomen studieren läßt, ist der Paragraph<br />
129a, der das Werben für eine terroristische<br />
Vereinigung unter Strafe stellt. Dieser Paragraph<br />
zielt im wesentlichen auf die gesellschaftlichen<br />
Kommunikationsverhältnisse. Bestraft<br />
wird eine bestimmte Art des öffentlichen Redens<br />
über terroristische Gewalt, die juristisch<br />
als Werben oder Unterstützen klassifiziert wird.<br />
Damit wird ein juristisch bewährtes Thematisierungsverbot<br />
für die Debatte über Gewalt etabliert.<br />
Wer öffentlich versucht, das Verhalten<br />
von Angehörigen sog. terroristischer Vereinigungen<br />
zu begründen und die Reaktion des<br />
Staates auf diese Herausforderung zu kritisieren,<br />
kann als Unterstützer eben dieser Vereinigungen<br />
strafrechtlich verfolgt werden.<br />
Wir wollen diesen modernen Staatsmythos zum<br />
Anlaß nehmen, um die Leistungsfähigkeit des<br />
Framing-Ansatzes für den Gewaltaspekt kollektiven<br />
Protests zu beleuchten und seine<br />
Reichweite auszumachen. Dazu vergegenwärtigen<br />
wir uns modellhaft die in der von uns<br />
gesichteten Literatur als Framing bezeichneten<br />
Operationen im Zusammenhang mit sozialen<br />
<strong>Bewegungen</strong>. Diese bestehen in der Ent<br />
REINHARD KREISSL/FRITZ SACK<br />
wicklung diskursiver Elemente unterschiedlichster<br />
Art, Komplexität und Reichweite, die von<br />
Bewegungsakteuren der unterschiedlichen Aggregationsebenen<br />
(Mikro-, Meso- und Makroakteure)<br />
mit dem Ziel eingesetzt werden, sozialen<br />
<strong>Bewegungen</strong> Anhänger, Mitglieder und<br />
Unterstützer zuzuführen und sie mit einem Argumentationshaushalt<br />
und einer ,Motivgrammatik'<br />
auszustatten, die eine höchst mögliche<br />
Mobilisierungsfähigkeit für kollektives Handeln<br />
auszeichnet. Vor dem Hintergrund dieser<br />
Kurzversion des Wirklichkeitsaspekts, auf den<br />
die Framing-Theorie zielt, lassen sich einige<br />
nötige Erweiterungen benennen, derer der Ansatz<br />
bedarf, um die von uns herausgestellten<br />
Gewaltbezüge kollektiven Handelns und sozialer<br />
<strong>Bewegungen</strong> zu erfassen.<br />
Erstens: Anders als in der bisherigen Diskussion<br />
zu beobachten, verlangt unsere Analyse danach,<br />
die Perspektive des Framing nicht alleine<br />
auf die Akteure - welcher Ebene auch immer<br />
- der sozialen Bewegung zu beziehen,<br />
sondern ebenso auf die Adressaten der Aktivitäten<br />
und die etwaigen Kontrahenten. Dies mag<br />
auf den ersten Blick trivial und selbstverständlich<br />
klingen, die Tatsache jedoch, daß der Framing-Ansatz<br />
unseres Wissens ausschließlich<br />
an der Empirie des Handelns von sozialen <strong>Bewegungen</strong><br />
und nicht auch an dem ihrer Konflikt-,<br />
Konkurrenz- und Interaktionspartner ausgearbeitet<br />
worden ist, verweist auf eine nur<br />
begrenzte empirische Reichweite der Theorie.<br />
So klingt die Fußnoten-Begründung - „frames<br />
of other actors (media, State) are excluded for<br />
practical reasons" - von Gerhards/Rucht (1992:<br />
574) in ihrer oben erwähnten Untersuchung<br />
nicht überzeugend, auch wenn sie sich ausdrücklich<br />
einer Position von Klandermans anschließen,<br />
wonach Rahmen stets in Opposition<br />
und in Konflikt zu den Rahmen anderer<br />
Akteure zu setzen sind. Die dort vorgeführte<br />
Framing-Analyse einschließlich der Identifizierung<br />
der entsprechenden master frames er-