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Arbeitsteilung und Ideologie - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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Besprechungen<br />

Philosophie<br />

Mittelstraß, Jürgen: Wissenschaft als Lebensform. Reden über philosophische Orientierungen<br />

in Wissenschaft <strong>und</strong> Universität. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 1982<br />

(234 S., br., 14,- DM)<br />

Mittelstraß will untersuchen, wie es dazu gekommen ist, daß Wissenschaft ihre orientierende<br />

Funktion <strong>für</strong> vernünftiges Handeln verloren hat, welche Konsequenzen dies <strong>für</strong><br />

die <strong>Theorie</strong> der Wissenschaft <strong>und</strong> den Ort der Vermittlung wissenschaftlichen Wissens,<br />

der Universität, hat; vor allem dann Perspektiven aufzuzeigen, die diesen Verlust wieder<br />

ausgleichen, also Wissensbildung <strong>und</strong> Orientierungsfunktion in einer <strong>Theorie</strong> wieder zu<br />

vereinen. Der erste Teil der Aufgabe, die Beschreibung <strong>und</strong> Analyse des Zustandes der<br />

Wissenschaftstheorie <strong>und</strong> der Universitäten, ist äußerst instruktiv zu lesen; prägnant etwa<br />

der Nachweis des ideologischen Scheins einer »wert freien Wissenschaft«; Hier zeigt<br />

sich die Fruchtbarkeit <strong>und</strong> Leistungsfahigkeit eines handlungstheoretischen Ansatzes in<br />

der Wissenschaftsforschung. Fragen drängen sich aber sofort auf, wenn Mittelstraß versucht,<br />

sein eigenes Programm einzulösen. Zwar dürfte es wohl zum wesentlichen eine die<br />

Diskussion würzende Provokation sein, wenn Mittelstraß seine Bestimmung von Wissenschaft<br />

als »citoyen-Wissenschaft« vorstellt - in Abgrenzung zur bourgeoisen Form<br />

von Wissenschaft (analytische Wissenschaftstheorie, Werturteilsfreiheit als Gr<strong>und</strong>dogma)<br />

<strong>und</strong> der marxistischen Wissenschaftsauffassung. Irrig seien diese beiden Wissenschaftskonzeptionen<br />

darin, daß sie davon ausgehen, daß Gesellschaft die Wissenschaft<br />

orientiere, nicht aber die Wissenschaft nach ihren als rational ausgewiesenen Zwecken<br />

die Gesellschaft orientiert. Der Irrtwn liege dann genau darin, daß über die Vernünftigkeit<br />

von Zwecken nicht entschieden wird nach autonomen Vernunftprinzipien, sondern<br />

der Ausweis der Vernünftigkeit sich abhängig macht von faktischen Machtverhältnissen.<br />

Für Mittelstraß' Vorstellung einer citoyen-Wissenschaft gilt dagegen, »daß Wissenschaft<br />

ihrer Idee nach, d.h. unter den moralischen Ideen der Transsubjektivität <strong>und</strong> der Wahrheit,<br />

stets republikanisch verfaßt ist ('keinem Mächtigen dient'), daß Wissenschaft insofern<br />

nicht nur bürgerlich ist, sondern bürgerlich sein muß. 'Bürgerlich' hier im Sinne<br />

von 'citoyen': dieser ist das Subjekt der autonomieorientierten Aufklärung <strong>und</strong> als solchem<br />

hat ihm auch die Wissenschaft zu dienen. So verstanden aber ist Wissenschaft<br />

nicht nur ihrem Wesen nach bürgerliche Wissenschaft, sie ist vielmehr auch politisch im<br />

Sinne einer republikanischen Parteinahme <strong>für</strong> Autonomie (die Wertfreiheitsrufe an die<br />

Adresse der Wissenschaft, so sieht man hier, mißverstehen gerade das, worauf sie sich<br />

beziehen: die bürgerliche Freiheit).« (24)<br />

Citoyen - impliziert wird hiermit nicht nur eine Moral-Konzeption, sondern gleichfalls<br />

ein historischer Ort (französische Revolution), der aber eben auch die Überwindung<br />

des citoyen durch den bourgeois enthält! Interessanterweise wird dieses Scheitern von<br />

Mittelstraß nicht mitreflektiert. Vielmehr erscheint es - zusammen mit dem Hinweis,<br />

daß ein solches Scheitern sich schon im alten Griechenland im Übergang von Platon zu<br />

Aristoteles einmal ereignet hatte - als bloß kontingentes Ereignis, d.h. das Scheitern<br />

der Vernunftautonomie ist letztlich immer <strong>und</strong> überall möglich ebenso wie deren Gelingen.<br />

Entgleitet mit dieser Konstruktion eines überhistorischen Ortes von Vernunft nicht<br />

aber die Möglichkeit des wirklichen Eingriffes in die als unvernünftig erkannten Verhältnisse?<br />

(Siehe etwa S. 137 »Anmerkung 1981«, in der Mittelstraß das Scheitern der Konstanzer<br />

Universitätsreform konstatiert bzw. feststellen muß, daß das, wovor er gewarnt<br />

hatte, nun genau eingetreten ist). Enthält folgende Bestimmung nicht schon latent den<br />

resignierten Rückzug nach dem Motto: 'Sie wollten es ja nicht besser'? »Die Übernahme<br />

<strong>und</strong> Anwendung der Einsicht (in die Vernunftautonomie, M.W.) bleibt dabei stets eine<br />

DAS ARGUMENT 136/1982

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