Arbeitsteilung und Ideologie - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Erziehungswissenschaft 905<br />
Das Kapitel »Kinderlied <strong>und</strong> Musikpädagogik« ist zugleich ein sehr interessant zu lesendes<br />
Stück deutscher Ideen- oder auch <strong>Ideologie</strong>geschichte. In dem Abschnitt »Das<br />
Kunstlied <strong>für</strong> Kinder« beschreibt Baader vor allem das moralisierende Kinderlied der<br />
Aufklärung, das erstmals als eigens <strong>für</strong> Kinder geschaffen - vergleichbar der gleichzeitig<br />
entstehenden besonderen Kinder- <strong>und</strong> Jugendliteratur - neben die geistlichen Lieder<br />
trat, die bislang die Erziehungsinstitutionen beherrscht hatten. Es folgen »Das Kindergartenlied«<br />
<strong>und</strong> »Schullied <strong>und</strong> volkstümliches Kinderlied«: im Zentrum zum einen die<br />
Spielpädagogik Fröbels <strong>und</strong> die zahlreichen, zum Teil noch heute geläufigen Spiellieder<br />
von Fröbel selbst oder seinen Nachfolgern, zum anderen die Bedeutung Hoffmanns von<br />
Fallersleben <strong>für</strong> das Schulrepertoire bis weit ins 20. Jahrh<strong>und</strong>ert hinein. »4. Das Volkskinderlied«:<br />
das ist in erster Linie eine Nachzeichnung des Kampfs der Jugendmusikbewegung<br />
gegen die musikalischen Zumutungen <strong>und</strong> platten Reimereien, wie sie die gängigen<br />
Ausgaben »<strong>für</strong> Kinder« kennzeichneten, <strong>und</strong> <strong>für</strong> das »echte«, d.h. überlieferte<br />
Volkskinderlied, sodann der nicht zu leugnenden (aber erst in den 60er Jahren reflektierten)<br />
Verwandtschaft zwischen Jugendmusikbewegung <strong>und</strong> nationalsozialistischer »Pflege<br />
des deutschen Liedguts«. Das Kapitel endet mit Anmerkungen »Zum Kinderlied in<br />
der Musikerziehung der Gegenwart«, in welcher - gegen die herkömmlichen primär affektiven,<br />
»charakterbildenden« Lernziele -- kognitive an Bedeutung gewinnen <strong>und</strong> sich<br />
in den Lehrplänen (auch <strong>für</strong> die Gr<strong>und</strong>schulen, vgl. etwa die Zitate auf S.97) widerspiegeln.<br />
Teil 3 des I. Bandes enthält die genaue methodische Begründung, Dokumentation<br />
<strong>und</strong> Auswertung von Baaders verschiedenen Erhebungen zum Kinderspiel <strong>und</strong> Spiellied<br />
in württembergischen Gemeinden. Die erste Intensiverhebung von 1960 stammt vor allem<br />
aus zwölf Orten (mittlere <strong>und</strong> Kleinstädte bis zu kleinen Dörfern) eines geschlossenen<br />
Gebiets zwischen Ulm <strong>und</strong> Heidenheim mit weder dominierend bäuerlicher noch<br />
rein industrieller Struktur. Durch einfache Beobachtung, durch Fragebogenerhebungen<br />
<strong>und</strong> durch gezielte Direktbefragungen von Kindern zwischen sechs <strong>und</strong> vierzehn Jahren,<br />
die die verschiedensten Volksschulen (von der Zwergschule bis zu einer 20klassigen<br />
Volksschule in Langenau) besuchten, sollten deren sämtliche Spiele im Freien ermittelt<br />
werden. Hinzu kamen (auch <strong>für</strong> die späteren Phasen der Untersuchung) Befragungen<br />
von Kindergärtnerinnen oder Lehrern oder andere Auskünfte unterschiedlichster Provenienz.<br />
Es folgten 1962 eine extensiv-punktuelle Erhebung in 20 weiteren Orten <strong>und</strong> vorwiegend<br />
bei Mädchen der Klassen 3 <strong>und</strong> 4, nur zum Spiellied, <strong>und</strong> 10 Jahre später - um<br />
sich in die lange liegengebliebene Untersuchung neu einzuarbeiten <strong>und</strong> um eventuellen<br />
Veränderungen in Spielauswahl oder -intensität wenigstens stichprobenartig nachspüren<br />
zu können - nochmals eine, methodisch der von 1960 vergleichbare, Erhebung zum gesamten<br />
Kinderspiel im Freien, in zwei Gemeinden im Kreis Tübingen.<br />
Nach der Systematisierung aller beobachteten Spiele (Spiellieder, Fang-, Versteck-,<br />
Ball-, Hüpf-, Rollen-, Ratespiele usf.) untersucht Baader, welche Kinder sich hauptsächlich<br />
mit Spiel liedern beschäftigen: in erster Linie Mädchen <strong>und</strong> am intensivsten <strong>und</strong> einfallsreichsten<br />
9-1ljährige Mädchen, während die eventuelle Beteiligung von Jungen sich<br />
beschränkt auf das 1. <strong>und</strong> 2. Schuljahr; 13- <strong>und</strong> 14jährige Mädchen spielten 1960 noch<br />
mit, häufig sogar in der Rolle der Spielführerinnen, aber eher an sehr kleinen Schulen,<br />
wo Kinder verschiedenen Alters mehr miteinander zu tun haben als an vielzügigen Schulen,<br />
zumal wenn dort getrennte Pausenhöfe <strong>für</strong> einzelne Altersstufen oder sogar Klassen<br />
die Kommunikation zwischen verschiedenaltrigen Kindern <strong>und</strong> damit auch die Spieltradierung<br />
erschweren. Bei der Tradierung der Spiellieder nimmt, neben Kindergarten,<br />
Schule, ]ugendgruppe oder Ferienlager, das Spiel »auf der Gasse« die zentrale Stelle ein:<br />
die weitaus meisten Spiellieder werden auf Straßen, Plätzen <strong>und</strong> Pausenhöfen - sofern<br />
dort unbeeinflußt durch Lehrer gespielt werden kann - übernommen bzw. der konkreten<br />
Spiel situation oder aktuellen, häufig politischen Ereignissen angepaßt. Solchen Ak-<br />
DAS ARGUMENT 136/1982