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Arbeitsteilung und Ideologie - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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804 Woljgang Fritz Haug<br />

nen. Nehmen wir ein Beispiel. Sie haben u.a. eine Ausstellung »Entartete<br />

Kunst« organisiert. In ihr trugen sie vor allem avantgardistische Kunst zusammen.<br />

Dabei wandten sie dasselbe Verfahren an, das sie in den rassistischen Büchern<br />

angewandt hatten: sie verknüpften die entstellenden, verzerrenden Darstellungsweisen<br />

der avantgardistischen Kunst mit Fotos von Mißgeburten oder<br />

Zeichnungen, die von »Geisteskranken« gemacht worden waren. Die avantgardistische<br />

Widerstandsästhetik wurde also nicht etwa einfach aus der Öffentlichkeit<br />

verdrängt, sondern auf umorganisierte Weise veröffentlicht, den<br />

Lohnarbeitern gezeigt, dem Riesenheer der Untergeordneten aller Art mit dem<br />

Hohn: Da seht Ihr es; solche Leute muß man ausrotten. Und was <strong>für</strong> ein Erfolg<br />

das wurde. Es war die populärste Kunstausstellung - vielleicht die populärste<br />

der deutschen Geschichte. »Entartete Kunst« - das war vor allem Widerstandskunst.<br />

Daran kann man die bösartige Dialektik lernen, daß es gerade<br />

unsere Formen des Widerstands, der Anständigkeit sein können, durch die wir<br />

Intellektuellen uns abkoppeln von den anderen, uns dadurch auslieferbar machen.<br />

Genau die Form, in der ich mich den Herrschaftsmächten widersetze,<br />

kann die Form sein, in der ich mich denen »da unten«, vor allem den »Kräften<br />

der Arbeit«, sperrig mache. In dieser Form bin ich unzugänglich <strong>für</strong> die Arbeiter.<br />

Die Vereinigung kann nicht glücken. Oder es kann dies die Form sein, in<br />

der <strong>Theorie</strong> so gemacht wird, daß sie <strong>für</strong> »die Praxis« nicht brauchbar ist.<br />

Auch hier kann dann die Vereinigung nicht glücken. Man muß sehen, daß genau<br />

in unsere Widerstandsformen die Formen eingeschrieben sind, die uns dazu<br />

verurteilen, daß die gesamte Anordnung so bleibt.<br />

Gleiches gilt von den Lohnarbeitern. Nachdem nun mehr <strong>und</strong> mehr Leute<br />

die Untersuchung von Paul Willis, »Spaß am Widerstand«, gelesen haben,<br />

wird der Gedanke von der unfreiwilligen Dialektik des Klassenbewußtseins<br />

nicht mehr so fremd sein. Willis hat mit einer Gruppe von Arbeiterjugendlichen<br />

zusammen untersucht, wie sie ihre gesellschaftlichen Bedingungen leben.<br />

Er hat herausgef<strong>und</strong>en, daß sie gerade dort, wo sie sich gegen »die da oben«<br />

<strong>und</strong> gegen die ideologischen Mächte richten, dies in einer Form tun, in der sie<br />

sich selbst dazu verurteilen, nichts ändern zu können. Solche Formen sind: Intellektuellenhaß,<br />

Haß aufs Lernen, Körperkult der »harten Männlichkeit«<br />

usw. Sie entwickeln, kurz gesagt, von sich aus eine Abstoßungskraft - z.B.<br />

Männer gegen emanzipierte Frauen oder gegen »unmännlichere« Männer; Arbeiter<br />

gegen Intellektuelle; Inländer gegen Ausländer usw. -, mit der sie die<br />

Elemente abstoßen, deren selbstbestimmte Neuzusammensetzung die strategische<br />

Frage aller Fragen, der Schlüssel zur solidarischen Veränderung der Gesellschaft<br />

ist. »Intellektuelle«, Brillenträger, sind <strong>für</strong> die Willisschen Arbeiter<br />

artikuliert mit »Schwulen«, repräsentieren sozusagen den lächerlichen Fall von<br />

»Frauen innerhalb des männlichen Geschlechts«.<br />

<strong>Arbeitsteilung</strong> <strong>und</strong> <strong>Ideologie</strong> - was bannt die Individuen an ihre Plätze in<br />

diesem vieldimensionalen Problemkreuz von Herrschaftsverhältnissen, Kompetenzabgrenzungen<br />

<strong>und</strong> dem archaischen Unterdrückungsverhältnis der Geschlechter?<br />

Die Mächte der Teilung, welche bestrebt sind, die Zusammenfügung,<br />

die Rekomposition der gesellschaftlichen Arbeit zu monopolisieren, sind<br />

nur ein Gr<strong>und</strong>. Die Formen, in denen wir uns alle auf unsem »Plätzen« ein-

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