Arbeitsteilung und Ideologie - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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920 Besprechungen<br />
Trotz dieser aufwendigen Vorbereitung sollten die Ergebnisse der Studie zurückhaltend<br />
aufgenommen werden. Die Statements aus dem Arsenal des Neofaschismus, die<br />
dem Repräsentativ-Sample mit der Aufforderung vorgelegt wurden, sich dazu zustimmend<br />
bzw. ablehnend zu äußern, besitzen keineswegs jene »Trennschärfe«, auf die sich<br />
die Studie mehrfach (16, 65, 105) beruft. Dies sei exemplarisch an dem Statement<br />
»Wenn es so weitergeht, steht unserem Volk schon bald eine ungeheure Katastrophe bevor«<br />
(66 et al.) verdeutlicht. Nicht nur ein paranoider, fortschrittsfeindlicher Neofaschist<br />
wird ihm zustimmen können, sondern - da »es« nicht definiert ist <strong>und</strong> also auch die<br />
Hochrüstungspolitik damit assoziiert werden kann - wohl auch die 300000 Demonstranten<br />
im Bonner Hofgarten.<br />
Die Zusammenstellung des »Inventar(s) des rechtsextremen Weltbildes« (42-62) bringt<br />
wenig Neues. Daß »Volk, Vaterland <strong>und</strong> Heimat« einen »zentralen Stellenwert besitzen«<br />
(42), ist ebenso sattsam bekannt wie der »Ethnozentrismus <strong>und</strong> Rassismus« (45) der<br />
Rechtsradikalen oder ihre Verherrlichung des Militarismus <strong>und</strong> einer »lawand order«<br />
Politik (47). Weniger geläufig ist vielleicht, daß die Neofaschisten staatsbürgerliche Freiheiten<br />
<strong>und</strong> einen begrenzten Pluralismus aus taktischen Gründen zu akzeptieren bereit<br />
sind, »da sie die Gr<strong>und</strong>lage <strong>für</strong> das Wirken ihrer betreffenden Gruppe darstellen« (51).<br />
Diese Akzeptanz demokratischer Gr<strong>und</strong>sätze schließt allerdings nicht aus, daß eine<br />
»'Endlösung' der Kommunistenfrage« durch die Entfesselung eines Dritten Weltkrieges<br />
angestrebt wird (48). Das Geschichtsbild der Rechtsextremen ist der SINUS-Studie zufolge<br />
von der Leugnung der Alleinschuld des »Dritten Reiches« am Ausbruch des zweiten<br />
Weltkrieges (55), von der Würdigung Hitlers als »großem Staatsmann« <strong>und</strong> »bedeutender<br />
Persönlichkeit« (54) <strong>und</strong> von der Billigung der Judenverfolgungen (55) bestimmt.<br />
Ein neues »Großdeutsches Reich« soll aufgebaut werden (56).<br />
Dort, wo die Studie versucht, Strategien <strong>für</strong> die politische Praxis zu liefern (99ff.),<br />
fallt sie hinter den Stand der Faschismusforschung zurück, indem sie dem Einfluß sozioökonomischer<br />
Faktoren auf die Entstehung einer rechtsextremen Einstellung <strong>und</strong> Protestbereitschaft<br />
keinen entscheidenden Stellenwert beimißt (103). Wenn aber, wie die<br />
Studie meint, der Neofaschismus bei Jugendlichen »heute vornehmlich aus dem Aufeinandertreffen<br />
biografischer Besonderheiten <strong>und</strong> psychischer Fehlentwicklungen erklärt<br />
werden« muß (103), ist die Politik aus ihrer Pflicht entlassen. Insgesamt kommt man zu<br />
dem Ergebnis, daß mit dieser SINUS-Studie wohl nicht das letzte <strong>und</strong> schon gar nicht<br />
das entscheidende Wort in der aktuellen Auseinandersetzung über die Entstehungsbedingungen<br />
<strong>und</strong> die Gefahrlichkeit des Neofaschismus geschrieben worden ist. Zu der Erkenntnis<br />
Brechts (»Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch«), konnte sich die<br />
Studie nicht vorarbeiten. Anzumerken ist noch, daß die Studie an verschiedenen Stellen<br />
mit wortwörtlichen Wiederholungen (z.B. 28, Z. 19ff. bis 29, Z. 2 = 77, Z. 10-29) arbeitet<br />
<strong>und</strong> ähnlich auch mit den Tabellen verfahrt. Ohne diese künstlichen Streckungen hätte<br />
die Seitenzahl auf etwa 100 reduziert <strong>und</strong> der Preis entsprechend gesenkt werden können.<br />
Stefan Bajohr (Düsseldort)<br />
[)AS ARGUMENT 136,1982