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Arbeitsteilung und Ideologie - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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786 Dorothee Sälle<br />

mit einer Puertoricanerin, einer Studentin, die enttäuscht war von der Vorbereitung<br />

der großen Friedensdemonstration. Sie fragte mich ironisch: »Warum<br />

sollen wir uns <strong>für</strong> die Sache der weißen Leute einsetzen?« Ich war traurig, dieses<br />

alte Lied wieder zu hören. Ich fragte sie, ob die Bombe denn auch so selektiv<br />

verführe <strong>und</strong> etwa nur die Weißen träfe?! Was denn »weiße Sache« hieße<br />

angesichts der Vorbereitung der atomaren Vernichtung des Lebens auf der Erde?!<br />

Aber ihr Selbstvertrauen - <strong>und</strong> das vieler Minderheiten - war so zerstört,<br />

ihr Mißtrauen gegen Weiße so groß, daß sie erstmal <strong>für</strong> sich, in der eigenen<br />

Gruppe arbeiten <strong>und</strong> lernen wollte. Erst, wenn wir unserer selbst sicher genug<br />

sind, können wir Bündnisse eingehen. Nein, dann müssen wir es.<br />

Eine zweite Bedingung der Bündnisfähigkeit ist, daß wir eine andere Sprache<br />

als nur die eigene verstehen. Wir müssen lernen, in einer anderen Sprache<br />

die eigene Sache wiederzuentdecken. Hören, auch wenn die Worte anders klingen.<br />

Über-setzen, über den Fluß gehen können, von einem Land ins andere.<br />

Wenn wir die eigenen Inhalte nur in der eigenen Sprache entdecken, dann sind<br />

diese Inhalte noch nicht wirklich unsere eigenen, dann kleben wir noch an den<br />

Worten, dann gehören uns unsere Inhalte noch nicht ganz. Dann sind wir noch<br />

Wortfetischisten .<br />

Auch dazu will ich ein Beispiel geben. Vor einiger Zeit hatte ich vor einem<br />

jüdisch-christlichen Publikum über die Beziehung zwischen Juden <strong>und</strong> Deutschen<br />

zu reden. Ich erzählte etwas über meine Kindheit in Hitlers Deutschland,<br />

ich stellte die alten Fragen: wie konnte es geschehen? Warum waren all diese<br />

anständigen Menschen, die ich kannte, beteiligt? Nach meinem Vortrag kam<br />

eine ältere Frau zu mir, sie war sehr ergriffen <strong>und</strong> hielt meine Hand in ihrer.<br />

Aber dann fragte sie mich, warum ich denn nicht über den Holocaust gesprochen<br />

hätte. Ich sagte ganz empört, ich hätte doch nichts anderes getan. »Ja«,<br />

meinte sie, »aber Sie haben das Wort nicht genannt.« Da ging mir auf, was<br />

Wortfetischismus ist, <strong>und</strong> etwas Ähnliches beobachte ich manchmal in der<br />

Frauenbewegung, wenn feministische Inhalte in anderen Sprachen erscheinen<br />

<strong>und</strong> nicht gehört werden, weil der richtige Jargon fehlt. Die Inhalte, die uns<br />

Frauen wichtig sind - die Abwesenheit von Konkurrenz <strong>und</strong> Herrschaft, der<br />

andere Umgang miteinander, die Fähigkeit zuzuhören - sind menschliche Inhalte<br />

<strong>und</strong> sie erscheinen in vielen verschiedenen Sprachen. Feminismus ist nicht<br />

eine andere Art von Rassismus, in dem nur eine Sprache richtig <strong>und</strong> angemessen<br />

ist. Die Kultur der Frauen zerstört sich selber, wenn sie sich nicht allgemein<br />

vermitteln kann <strong>und</strong> anknüpfen kann an die menschliche Sprache der Männer,<br />

die, ebenso wie wir, eine andere Art zu leben suchen.<br />

Wie werden wir bündnis fähig? Die dritte Bedingung besteht darin, die begrenzte<br />

Bejahung zu lernen. Wer bündnis fähig werden will, muß auf die totale<br />

Übereinstimmung verzichten können, um die begrenzte Übereinstimmung zu<br />

gewinnen. Vorbehalte gegen andere <strong>und</strong> Skepsis können nicht einfach übersprungen<br />

werden. Das fällt uns Frauen besonders schwer, weil Ganzheitlichkeit,<br />

Ganz-sein-wollen ein zentraler feministischer Wert ist. Trotzdem müssen<br />

wir lernen zu teilen, mit einer anderen Gruppe teilweise <strong>und</strong> begrenzt zusammenzuarbeiten.<br />

Bündnisfähigkeit setzt diese Rationalität des Teilens <strong>und</strong> Unterscheidenkönnens<br />

voraus.

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