Arbeitsteilung und Ideologie - Berliner Institut für kritische Theorie eV
Arbeitsteilung und Ideologie - Berliner Institut für kritische Theorie eV
Arbeitsteilung und Ideologie - Berliner Institut für kritische Theorie eV
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
812 FriggaHaug<br />
ist wahrscheinlich, daß sie dort am meisten zu sagen <strong>und</strong> also beizutragen haben,<br />
wo der Leidensdruck am größten ist. Ohnehin verschieben sich im Laufe<br />
der Bearbeitung die Probleme, erweisen sich als andere, eröffnen neue Forschungsfelder<br />
usw. - hierzu später.<br />
Bestimmen wir gemeinsam, was uns wichtig ist, so ist die Gruppe auch<br />
gleich zu Anfang schon der Garant, daß es sich nicht um ein sektiererisches<br />
Problem handelt, - die bloße Zustimmung schon zeigt, daß es alle betrifft,<br />
daß ein Vergleich möglich ist, daß Unterschiedliches zusammengetragen werden<br />
kann, daß überhaupt ein Forschungsprozeß eröffnet werden kann (ausführlich<br />
dazu: Haug, F., 1983).<br />
Die soziale Konstruktion subjektiver Erfahrung<br />
Erfahrungen als Quelle der Erkenntnis benutzen ist ganz illusionär, wird man<br />
einwenden. Hier wird doch fälschlich unterstellt, daß die einzelnen überhaupt<br />
in der Lage sind, »objektiv« über sich zu berichten. Was ihnen widerfuhr, verarbeiten,<br />
ja konstruieren sie doch subjektiv! Hier haben wir das Subjekt/Objekt-Problem,<br />
welches wir auf der Seite der Forschung so harmonisch lösten,<br />
auf der Seite der Berichterstattung mit ganzer Wucht wieder. Dem subjektiv<br />
Erfahrenen ist jede objektive Gültigkeit abzusprechen. Die Begründung: die<br />
einzelnen drehen <strong>und</strong> wenden, deuten um <strong>und</strong> verfälschen, verdrängen <strong>und</strong><br />
vergessen, was ihnen widerfährt, <strong>und</strong> verfolgen eine Konstruktion ihrer Person,<br />
der sie den Gehalt der Vergangenheit unterordnen. Man kann also nichts<br />
darauf geben, was sie von sich <strong>und</strong> ihrer Weltbearbeitung sagen, es ist subjektiv<br />
gefärbt.<br />
Machen wir aus dem Vorwurf der bloß subjektiven Bedeutung der Dinge eine<br />
Forschungsfrage. Wie verändern, verfälschen, verdrehen die einzelnen eigentlich<br />
die Gegebenheiten ihres Alltags <strong>und</strong> warum? Das Warum hängt mit<br />
ihrer Identität zusammen. Das soll heißen, die Menschen bauen die Gegebenheiten<br />
ihres Lebens so um, daß sie selber einigermaßen widerspruchs frei darin<br />
existieren können. So sie dies nicht in der Tat können, tun sie es in der Idee, in<br />
der Erinnerung. Was wir also erforschen können, ist nicht, »wie es wirklich<br />
war«, sondern wie die einzelnen sich hineinbauten, sich veränderten, welche<br />
Interpretationen sie vornahmen, was sie davon hatten, kurz, wie sie sich selber<br />
bauten in die vorhandenen Strukturen.<br />
Der Vorwurf beflügelt uns. Schließlich waren es nicht so sehr die fertigen<br />
Strukturen, die wir erkennen wollten, sondern ihr Werden, die Verarbeitung<br />
der Gegebenheiten im Alltag mit dem Resultat, daß die einzelnen die Gesamtgesellschaft<br />
immer wieder reproduzieren. Der Vorwurf hat sich in sein Gegenteil<br />
verkehrt. Es ist in der Tat notwendig, die subjektiven Erinnerungen zu befragen,<br />
wenn wir über die Aneignung objektiver Strukturen etwas wissen wollen.<br />
Dabei nehmen wir nicht an, daß sie ganz ins Belieben der einzelnen gestellt<br />
ist, wie dies als Beigeschmack des Wortes »subjektiv« zu spüren ist. Ganz im<br />
Gegenteil. Wie die einzelnen etwas wahrnehmen, es <strong>für</strong> gut <strong>und</strong> richtig, <strong>für</strong><br />
schön <strong>und</strong> erstrebenswert, <strong>für</strong> verächtlich <strong>und</strong> verwerflich halten, dies ist die<br />
Stätte des täglichen Klassenkampfes um die Köpfe <strong>und</strong> Herzen der Menschen.<br />
Ist uns dieses bewußt, so können wir einige theoretische Hilfe (aus <strong>Ideologie</strong>-