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Arbeitsteilung und Ideologie - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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Erziehungswissenschaft 903<br />

längeren Zitaten, Elias Canetti, Walter Benjamin <strong>und</strong> andere, deren Beobachtungen <strong>und</strong><br />

Überlegungen uns sehr in den (Kinder-)Kram paßten. Die Pädagogen lassen ",ir aus dem<br />

Spiel, denn der pädagogische Blick ist verstellt. Kinder werden als Objekte von Anweisungen<br />

<strong>und</strong> Lernangeboten gesehen, die spielenden Subjekte werden verschüttet.« (9f.)<br />

Aus der Kinderperspektive - vergleichbar der Technik in lrmgard Keuns Roman »Das<br />

Mädchen, mit dem die Kinder nicht verkehren durften« - mrd eindringlich beschrieben,<br />

was »kind« beim Spiel mit Wasser, Sand <strong>und</strong> Matsch alles machen, entdecken <strong>und</strong><br />

empfinden kann, wird die Geborgenheit in Zelten, in Höhlen, unter Tischen evoziert<br />

<strong>und</strong> einfühlsam dargestellt, wie kindliche Ohnmachtserfahrungen sich meder holen <strong>und</strong><br />

bearbeiten lassen an Nachziehspielzeug, an der Ente z.B., die auf jeden Zug an der<br />

Schnur pariert. »Die Schnur ist aber zugleich auch Form einer einfachen, <strong>für</strong> das Kind<br />

durchschau- <strong>und</strong> selbst herstellbaren Mechanik« (28) - ganz anders als im Fall von<br />

hochkompliziertem Spielzeug, an dessen Mechanismus sich allenfalls herankommen<br />

läßt, indem »kind« es kaputtschlägt. Von der Lust am Zerstören als Ausdruck kindlicher<br />

Omnipotenzbestrebungen ist die Rede <strong>und</strong> von anderen, von pädagogisch sich gebenden<br />

Erwachsenen vorschnell als »garstig« oder »unsozial« getadelten Verhaltensweisen:<br />

Schatzbildnerei, das Zählen <strong>und</strong> Feilschen, Kommunikationsspiele mit Ausschluß<br />

bestimmter Kinder. Wie das Prinzip Vollständigkeit, »dieses Moment des Alles-habenwollens«<br />

(62), aber doch gleichzeitig von der Spielzeugindustrie, seit es sie gibt, gefördert<br />

wird, das demonstrieren die Autoren sehr geschickt am Vergleich der im 19. Jh. weit verbreiteten<br />

»Arche Noah« mit dem Playmobil-Arsenal unserer Tage. Von merkwürdigen<br />

Sammelobjekten ist zu lesen, von Hühnerbeinen etwa, mit denen sich die Laufbewegungen<br />

der vormals lebendigen Besitzer der Beine noch nachvollziehen lassen, <strong>und</strong> vom Unverständnis<br />

der Erwachsenen, wenn sie solche »Schweinereien« entdecken <strong>und</strong> erbarmungslos<br />

in den Müll stecken.<br />

Immer meder auch lenken die Autoren den Blick auf subtilere Spieleingriffe von Erwachsenen,<br />

auf Umlenkungsmanöver aller Art: statt ephemerer Matschereien »etwas<br />

Bleibendes!« (24), aus Plastilin, gebrannt oder getrocknet <strong>für</strong> die Vitrine, oder Fingerfarben<br />

zur Sublimierung des Drangs zum Schmutz <strong>und</strong> Spieltiere als Ersatz <strong>für</strong> richtige<br />

(schmutzige) Tiere. Viele Seiten in diesem Band handeln vom Kampf der Erwachsenen<br />

gegen den Schmutz <strong>und</strong> den vermutbaren Hintergründen dieses Kampfes, wozu die naheliegenden<br />

Autoren Christian Enzensberger (»Größerer Versuch über den Schmutz«)<br />

<strong>und</strong> Klaus Theweleit (»Männerphantasien«) ausführlich zitiert werden.<br />

Neben Auszügen aus theoretischen Schriften weiterer Autoren von einiger Exklusivität<br />

(Deleuze/Guattari z.B. <strong>und</strong> immer wieder Canetti mit »Masse <strong>und</strong> Macht«) montieren<br />

Börsch <strong>und</strong> Bauer Spielbeschreibungen aus Paul Hildebrandts »Das Spielzeug im<br />

Leben des Kindes« von 1904 oder aus Walter Benjamins »<strong>Berliner</strong> Kindheit um 1900«<br />

zwischen die eigenen Kindheitserinnerungen <strong>und</strong> Kinderbeobachtungen - Beobachtungen<br />

manchmal auch einfach als Variationen über dort angeschlagene Themen, wie im<br />

Fall des Kapitels» Aus dem Nähkästchen gespielt«. Erinnerungen beim Leser werden geweckt<br />

oder zumindest werden sie plastischer: das Rascheln der Liebesperlen, Reiskörner,<br />

Rosinen in den Schächtelchen beim Kaufladenspiel, oder die geheimnisvolle Empfindung,<br />

die ich fast vergessen hatte, wenn meine Hand beim Sandbuddeln sich tief drinnen<br />

im Kühlen mit der Hand eines anderen Kindes traf.<br />

Den Kapiteln, in denen einzelne Spiele oder Kommunikationsformen von Kindern beschrieben<br />

werden, folgen Betrachtungen zur Geschichte des Spielzeugs <strong>und</strong> spieltheoretische<br />

Überlegungen, die sehr überzeugend aus George Batailles »Die Aufhebung der<br />

Ökonomie« abgeleitet werden: Spiel als »eine Form der 'unproduktiven Verausgabung'«<br />

(88) <strong>und</strong> darum auch nahezu immer als unnütze Tätigkeit diskriminiert oder<br />

aber höheren (pädagogischen) Zwecken untergeordnet. Das Schluß kapitel »Spielzeug<br />

als Dialog zwischen Erwachsenen <strong>und</strong> Kindern« handelt von den Wünschen <strong>und</strong> Erwar-<br />

DAS ARGUMENT 136/1982 So'

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