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Arbeitsteilung und Ideologie - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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822 Micheie Barrett<br />

wird - in Großbritannien ist das ganz deutlich, aber auch woanders - von<br />

der Arbeiterbewegung enorm unterstützt. Die Gewerkschaften kämpfen <strong>für</strong><br />

ihre Forderungen immer auf der Gr<strong>und</strong>lage des Familienlohns, der Verteidigung<br />

der Familie. Es ist wesentlicher Bestandteil sozialistischer Denk- <strong>und</strong><br />

Kampfweise, <strong>für</strong> den Schutz der Familie der Arbeiterklasse einzutreten. Und<br />

auch Feministinnen werden beschuldigt, ihre Forderungen seien marginal <strong>und</strong><br />

von den Wünschen <strong>und</strong> Sehnsüchten normaler Frauen zu weit entfernt, wenn<br />

ihre Kritik an der Familie zu radikal ist. Wir haben die Frauen selbst gefragt,<br />

<strong>und</strong> was sie wirklich wollen, ist die Familie. Ehe, Kinder <strong>und</strong> Familie sind <strong>für</strong><br />

sie am wichtigsten. Die <strong>Institut</strong>ion Familie ist also so beliebt, daß man sich der<br />

Bezichtigung des Avantgardismus aussetzt, wenn man sie anficht. Es handelt<br />

sich bei all dem um ein wichtiges politisches Problem: wenn wir sagen, die Familie<br />

ist eine unsoziale <strong>Institut</strong>ion, <strong>und</strong> die Linken <strong>und</strong> die Feministinnen sollten<br />

dieser <strong>Institut</strong>ion gegenüber sehr kritisch <strong>und</strong> feindselig sein, wird uns erwidert:<br />

<strong>und</strong> doch investieren die Menschen im allgemeinen sehr viel in sie. Folglich<br />

unterstellt Ihr den Leuten, sie hätten ein falsches Bewußtsein. Wir wissen<br />

aber, daß die Vorstellung von <strong>Ideologie</strong> als falsches Bewußtsein überholt <strong>und</strong><br />

reaktionär ist, sie ist äußerst unbefriedigend <strong>und</strong> bedeutet, einen gönnerhaften<br />

Standpunkt zu beziehen. Es entstehen sehr ernste politische Probleme, nicht<br />

nur im Verhältnis zur herrschenden sozialistischen Tradition, in der die Arbeiterbewegung<br />

die Familie immer hochhält; man muß eine sehr avantgardistische<br />

intellektuelle Sozialistin sein, wenn man die Familie angreift. Es gibt darüber<br />

hinaus viele andere politische Implikationen <strong>für</strong> die zeitgenössischen Sozialist(inn)en<br />

<strong>und</strong> Feministinnen. Als ein Beispiel möchte ich eine Diskussion<br />

über die Familie anführen, die in Großbritannien in jüngster Zeit begann.<br />

Schwarze Feministinnen sagen: wenn weiße Feministinnen die Familie kritisieren,<br />

verkennen sie das Ausmaß, in dem die Familie eine der Formen ethnischer<br />

Solidarität innerhalb einer rassistischen Gesellschaft darstellt. Mir selbst ist<br />

vorgeworfen worden: Du hast als weiße Feministin kein Recht, die Familie so<br />

zu kritisieren, daß Du damit meine Formen ethnischer Solidarität kritisierst.<br />

Dem Argument liegt ebenfalls zugr<strong>und</strong>e, daß die elitäre <strong>und</strong> ultralinke Position<br />

in diesem Punkt die Mehrheit der Bevölkerung bezichtigt, sich in ihren eigenen<br />

Interessen zu täuschen <strong>und</strong> ein falsches Bewußtsein zu haben. Es ist ein<br />

theoretisches Problem, führt jedoch zu einer gewissen politischen Lähmung.<br />

Mir scheint, ein Weg, an dieses Problem heranzugehen, ohne zu viele Zugeständnisse<br />

zu machen, ist die Erkenntnis, daß die Bedürfnisse, die in den Familien<br />

befriedigt werden, bzw. die die Familien zu befriedigen versuchen, keine<br />

falschen, sondern im Gegenteil echte Bedürfnisse sind. Wenn wir vorankommen<br />

wollen, müssen wir das einsehen. Ohne leugnen zu wollen, daß Bedürfnisse<br />

gesellschaftlich <strong>und</strong> historisch konstruiert sind, kann man doch davon sprechen,<br />

daß die Bedürfnisse nach Sicherheit, Vertrautheit, sexuellen Beziehungen,<br />

einer guten Umgebung <strong>für</strong> die Kindererziehung usw. Bedürfnisse sind, denen<br />

in einer absehbaren künftigen Gesellschaft Rechnung getragen werden<br />

muß. Solange sich keine gr<strong>und</strong>legende Veränderung der menschlichen Persönlichkeiten<br />

ergibt, müssen wir anerkennen, daß diese Bedürfnisse befriedigt<br />

werden müssen. Wir sehen in der gegenwärtigen Form der Familie in erster Li-<br />

DAS ARGUMENT 136/1982

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