Arbeitsteilung und Ideologie - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Erika Stöppler<br />
Geschichten von Frau Keuner<br />
Über die historische Selbstbetrachtung<br />
Frau Keuner fand in den Schriften der Klassiker nicht nur wenig Fingerzeige<br />
<strong>für</strong> das Verhalten der Einzelnen, sondern noch weniger <strong>für</strong> das Verhalten der<br />
Frauen im allgemeinen. Meist wurde von Klassen gesprochen oder anderen<br />
großen Gruppen von Menschen. Unter diesen erschienen die Frauen als die<br />
Parameter der gesellschaftlichen Entwicklung <strong>und</strong> des Ausmaßes der Ausbeutung,<br />
so daß, wann immer von Frauenarbeit geredet wurde, auch im gleichen<br />
Zug von der Kinderarbeit die Rede war. In den vorklassischen Berichten ist sogar<br />
davon zu lesen, daß die Frauen <strong>und</strong> Kinder die Männer von ihren Arbeitsplätzen<br />
vertrieben hätten <strong>und</strong> daß deshalb Männer die Arbeiten der Reproduktion<br />
zu leisten gehabt hätten <strong>und</strong> auf diese Weise kastriert worden seien. Besonders<br />
das letzte Urteil über die <strong>für</strong> die Familie notwendige Hausarbeit macht<br />
Frau Keuner so ärgerlich, daß sie Mühe mit dem Nachdenken hat.<br />
Die Verlebendigung der Vergangenheit durch das Nachempfinden unsäglichen<br />
Leids der nackten doppelten Ausbeutung <strong>und</strong> Abhängigkeit macht blind<br />
<strong>für</strong> die Gegenwart <strong>und</strong> Zukunft, denn ich merke, sagt Frau Keuner, wie ich<br />
auf eine vergangene theoretische Ebene einer überholten Praxis zurückfalle,<br />
dergestalt, daß ich mir wünsche, als Mann geboren zu sein - schließlich habe<br />
auch ich ein lebendiges Gefühl von dem Leid der Kastration. Sich darauf besinnend,<br />
daß sie als Frau nach den Kindern zu der am meisten unterdrückten<br />
Gruppe der Menschen gehört, lobt sie den historischen Standpunkt <strong>und</strong> die<br />
Große Methode, die ihr zeigt, daß sie also auch das größte Potential an Erfahrung<br />
des Widerstandes <strong>und</strong> Einsatzes <strong>für</strong> die allgemeine Emanzipation akkumuliert<br />
hat, nämlich als Frau <strong>und</strong> als Angehörige der arbeitenden Klasse.<br />
Durch die Charakterisierung der Frau nach ihrer Doppelbelastung könnte man<br />
zu der Annahme kommen, daß die Frau eigentlich ein Doppelwesen sei, da sie<br />
so gehörig vom Mann unterschieden zu sein scheint, in Wahrheit ist aber danach<br />
der Mann nur ein halbes Wesen, da er zu Haus ganz unbeholfen ist, so<br />
sehr mitunter, daß es füglich wäre, ihn in seinem Heim als Behinderten oder<br />
schwer Behinderten zu begreifen. Dieses Leiden ist aber ebenso therapierbar<br />
wie die einstmals verkrüppelten Füße der Chinesinnen. Wenn also dieses Leiden<br />
beseitigt ist oder auch schon seinen Gr<strong>und</strong> zur therapeutischen Resignation<br />
verloren hat, wird der männliche Teil der Arbeiterklasse sehr leicht begreifen<br />
können, daß weit mehr einzufordern ist, als Lohnerhöhungen, die immer<br />
ein Stück der Teuerungsrate hinterherhinken.<br />
Den Frauen aber bleibt zu empfehlen, sich selber wie die Klassen <strong>und</strong> großen<br />
Gruppen von Menschen zu betrachten unter der besonderen Rücksicht des<br />
Anteils darin <strong>und</strong> sich historisch zu benehmen. Das Leben, gelebt als Stoff einer<br />
Lebensbeschreibung, gewinnt eine gewisse Wichtigkeit <strong>und</strong> kann Geschichte<br />
machen.<br />
Unter Hinweis auf einen Feldherrn, der seine Erinnerungen in der dritten<br />
Person niedergeschrieben hatte (<strong>und</strong> immer noch auf den Gymnasien gelesen