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Arbeitsteilung und Ideologie - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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Zum Tode von Helga Koppel*<br />

Der Winter wird kälter werden ohne sie. Das Haus unbewohnbarer.<br />

Du kannst doch jetzt nicht Auto fahren, sagte sie zu mir, als ich sie das letzte<br />

Mal sah, jetzt, da deine Fre<strong>und</strong>e zu dir sprechen, als ob sie dir Feind seien.<br />

Jetzt erst erschrak ich, weil ich merkte, wie sehr sie sich alles zu Herzen nahm:<br />

den Streit, die Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> ihr Gegeneinander.<br />

Da<strong>für</strong> setzte sie ihr Leben ein, daß die Kälte nicht spürbar war, wo sie war,<br />

daß die Räume bewohnbar waren, die kahlen, daß jeder ein Zuhause hatte in<br />

ihrem Umkreis. Das ist Stärke der Frauen seit langem. Die besten schaffen es,<br />

den anderen um sie herum dieses Haus zu bauen. Helga Koppel gab uns eine<br />

Ahnung, wie es sein könnte, wenn wir nicht nur hinter Stacheldraht aus Selbstschutz<br />

hervor lugend aufeinandertreffen. Sie hat es uns bequem gemacht.<br />

Wann fragten wir uns, wie man das leben kann, das ständige Ausgleichen,<br />

die Herzlichkeit <strong>für</strong> alle, welche Kraft es kostet, alle zusammenzuhalten, wenn<br />

sie gegeneinanderstreben? Frauenschicksal: in den Auseinandersetzungen wohl<br />

Partei ergreifend, aber die Unmöglichkeit, sich zu äußern, weil man selber<br />

zum Knoten sich gemacht hat, der die losen Enden verbündet. Selbstverleugnung<br />

<strong>und</strong> Aufopferung.<br />

Ich möchte auch etwas schreiben, sagte sie, <strong>und</strong> mich verw<strong>und</strong>erte ihre<br />

Stimme, die Zweifel anmeldete, ob sie dies könnte, einen Artikel schreiben,<br />

sie, die doch Bücher schon geschrieben hatte. Jetzt erst verstehe ich, daß sie<br />

hätte aufhören müssen, sich selbst aufzugeben in diesem Versuch, uns alle zusammenzuhalten.<br />

Es wird unbequem werden ohne sie. Wir werden das Haus selber bauen<br />

müssen, in dem wir wohnen wollen, <strong>und</strong> die Fre<strong>und</strong>lichkeit herstellen, die wir<br />

brauchen. Wenn niemand uns ein Zuhause richtet, wenn niemand uns auffangt,<br />

werden wir alle lernen müssen, unsere Streitpunkte so auszutragen, daß<br />

wir dabei noch zusammenleben können. Wir müssen verantwortlicher werden,<br />

denn wir können es nirgends zulassen, daß sich jemand aufgibt, unsretwegen.<br />

Es ist Aufgabe der Frauen, das Leben erträglich zu machen, wo es unerträglich<br />

ist; selbst gestellte Aufgabe; Selbstaufgabe. Menschlichkeit als <strong>Arbeitsteilung</strong>.<br />

Auf dem Wege ihrer Befreiung werden die Frauen diese Besonderheit<br />

kündigen. So muß sie allgemein werden.<br />

Frigga Haug<br />

* Helga Koppel starb am 7. Oktober 58jährig in Marburg. Sie war Vorsitzende des B<strong>und</strong>es demokratischer<br />

Wissenschaftler seit 8 Jahren. Sie hat ein Buch geschrieben über die kommunistische<br />

Partei Italiens, ein anderes - zusammen mit einer ihrer Töchter - über revolutionäre<br />

Frauen, eines über italienische Gewerkschaften <strong>und</strong> eines über Film <strong>und</strong> eine Schauspielerin.<br />

DAS ARGUMENT 136/1982 ©

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