Arbeitsteilung und Ideologie - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Kommentierte Bibliographie: U mweItfragen (10)<br />
Edgar Gärtner<br />
Zum Stand der Ökosystemtheorie<br />
Die noch heute gebräuchliche Definition des Ökosystems als Beziehungsgefüge der Lebewesen<br />
untereinander <strong>und</strong> mit ihrem Lebensraum wurde 1935 von dem englischen<br />
Forstwissenschaftler A.G. Tansley eingeführt. Dieses Datum bezeichnet allerdings nicht<br />
den Ausgangspunkt der modemen interdisziplinären Ökosystemforschung (vgl. H. Ellenberg<br />
1973), sondern den vorläufigen Abschluß einer theoretischen Entwicklung, deren<br />
Ursprünge bis zur natürlichen Theologie des 17. <strong>und</strong> 18. Jahrh<strong>und</strong>erts zurückverfolgt<br />
werden können. Nach Ansicht der natürlichen Theologie beruht die Harmonie <strong>und</strong><br />
der Bestand des Naturganzen auf einem dynamischen Gleichgewicht, das sich als Ergebnis<br />
des »Kampfes ums Dasein«, eines ständigen Krieges aller Lebewesen gegeneinander<br />
einstellt. Der Zusammenhalt des Naturhaushaltes sei um so stabiler, je komplizierter das<br />
Geflecht von Nahrungsbeziehungen zwischen den Organismen sei. Diese Vorstellung<br />
wurde sowohl von Carl von Linne, dem dogmatischsten Vertreter des Schöpfungsglaubens<br />
<strong>und</strong> der Unveränderlichkeit der Arten, als auch von Charles Darwin, dem Begründer<br />
der Evolutionstheorie auf der Basis der natürlichen Auslese, übernommen (vgl. R.C.<br />
Stauffer 1960).<br />
Die Darwinsche Selektionstheorie bildete den theoretischen Ausgangspunkt <strong>für</strong> die<br />
wichtigsten Gr<strong>und</strong>konzepte der Ökologie, insbesondere <strong>für</strong> den 1877 von dem deutschen<br />
Zoologen Karl Möbius geprägten Begriff der »Biozönose« (Lebensgemeinschaft),<br />
d.h. »eine den durchschnittlichen äußeren Lebensverhältnissen entsprechende Auswahl<br />
<strong>und</strong> Zahl von Arten <strong>und</strong> Individuen, welche sich gegenseitig bedingen <strong>und</strong> durch Fortpflanzung<br />
in einem abgemessenen Gebiet dauernd erhalten«. Auch der 1927 von dem<br />
englischen Zoologen Charles S. Elton geprägte Begriff der »ökologischen Nische«, der<br />
den »Beruf« einer Art im arbeitsteiligen Gefüge des Naturhaushaltes bezeichnet, entstand<br />
im Kontext der Darwinschen <strong>Theorie</strong> <strong>und</strong> wurde sogar von Darwin selbst sinngemäß<br />
(»places in the economy of nature«) verwendet.<br />
Daneben entwickelten sich jedoch in der Botanik <strong>und</strong> in der Süßwasserbiologie (limnologie)<br />
Ansätze einer Ökosystemtheorie, die sich nicht auf die Darwinsche Selektionstheorie<br />
beriefen, diese sogar teilweise schroff ablehnten (vgl. E. Gärtner 1981). Von dieser<br />
sich teilweise zur Philosophie des »Holismus« bekennenden Denkrichtung wurde das<br />
Ökosystem als »Organismus höherer Ordnung« (so der deutsche Pionier der Limnologie<br />
A.F. Thienemann im Jahre 1918) aufgefaßt. Thienemann prägte, bevor sich international<br />
der Begriff »Ökosystem« einbürgerte, <strong>für</strong> die Einheit von Lebensgemeinschaft <strong>und</strong><br />
Lebensraum den Begriff »Holozön«. Bereits im Jahre 1920 leitete er aus der Analyse der<br />
Neubesiedlung vulkanischer Inseln <strong>und</strong> künstlicher Stauseen die noch heute gültigen<br />
»biozönotischen Gr<strong>und</strong>prinzipien« ab:<br />
1.»Je variabler die Lebensbedingungen einer Lebensstätte, um so größer die Artenzahl der zugehörigen<br />
Lebensgemeinschaft.«<br />
2. »Je mehr sich die Lebensbedingungen eines Biotops vom Normalen <strong>und</strong> <strong>für</strong> die meisten Organismen<br />
Optimalen entfernen, um so artenärmer wird die Biozönose, um so charakteristischer<br />
wird sie, in um so größerem Individuenreichtum treten die einzelnen Arten auf.«<br />
Der amerikanische Botaniker F.E. C1ements leitete 1916 aus der Untersuchung der Wiederbesiedlung<br />
von Brachflächen <strong>und</strong> Kahlschlägen die Vorstellung ab, die beobachtbare<br />
Sukzession verschiedener Pflanzenarten führe in Zeiträumen von etlichen Jahrzehnten<br />
bis Jahrh<strong>und</strong>erten über verschiedene labile Zwischenstadien schließlich zu einer stabilen<br />
Schlußgesellschaft (Klimax), die mit dem Großklima ihres Standortes harmoniere. Von