Festivalkatalog der Ruhrtriennale 2022
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Verletzlichkeit und Humor zu finden.<br />
KF: Ein Wärmeherd könnte die Figur <strong>der</strong> Schauspielerin<br />
sein. Genia dagegen ist eher ausgeschlafen. Die<br />
Frauen gerieren sich bisweilen als Opfer, sind aber<br />
emotional Täterinnen. Genias Satz »Ich schau dich nur<br />
an« ist perfide.<br />
BF: Hofreiters Not ist, dass seine Frau ihn immer schon<br />
durchschaut hat, bevor er zu argumentieren beginnt.<br />
KF: Sie weiß, wie gewaltbereit er ist. Das macht sie<br />
mitverantwortlich für seine Gewalt gegen Otto, Genias<br />
Kurzzeit-Liebhaber.<br />
BF: Es bleibt aber im Dunkeln, ob sie mit dieser letzten<br />
Konsequenz rechnen konnte. Bei Schnitzler gibt es nicht<br />
Gut und Böse.<br />
KF: Er macht lediglich eine Bestandsaufnahme. Und<br />
fragt, ob die Gesellschaft jemals verantwortungsvoller<br />
war. Es geht ja schließlich um Verantwortung. Sie<br />
zu verweigern, ist damals wie heute ein Zeichen von<br />
Überfor<strong>der</strong>ung. Schnitzlers Gesellschaft vor dem Ersten<br />
Weltkrieg ist überfor<strong>der</strong>t. Um das nicht wahrhaben<br />
zu müssen, lebt sie in einer Art Kapsel, geschützt<br />
durch Wohlstand. Man geht ins Hotel, auf den Berg,<br />
auf den Tennisplatz. Und man geht fremd.<br />
BF: Da taucht Freuds obsessives Eros-Thanatos-Thema auf.<br />
Die ständig wechselnden Liebschaften sollen die Angst vor<br />
dem Tod verscheuchen.<br />
KF: Wir klammern den Tod auch aus. Man spricht nicht<br />
darüber.<br />
BF: Interessant bei Schnitzler ist auch die Sportwelt. Man<br />
spielt Tennis und erklimmt Berggipfel und redet auch andauernd<br />
darüber. In unseren heutigen Städten sind die<br />
Werbeflächen für Fitness, Kraftaufbau und Selbstoptimierung<br />
mittlerweile von gigantischer Größe. Ebenso die<br />
für Partnervermittlung.<br />
KF: Sport als Sucht. Während <strong>der</strong> Pandemie habe ich<br />
mich zwischenzeitlich gar nicht mehr bewegt. Wie eine<br />
Schildkröte. Das war meine Corona-Demonstration!<br />
(Lacht.) Im Sportwahn zeigt sich auch eine Feindschaft<br />
gegen das Geistige. Die Geisteswissenschaften<br />
sind von den Naturwissenschaften verdrängt worden.<br />
Es gibt nur noch Chemie. Deshalb finde ich den Begriff<br />
<strong>der</strong> Seele so interessant. Das ist kein mechanischer<br />
Begriff, man kann ihn nicht mehr benutzen. Kunstwerke<br />
zum Beispiel müssen eine Seele haben. Viel heutige<br />
Kunst ist seelenlos, mit einem »Branding« versehen.<br />
Das ist unverbindlich, man weiß eigentlich nicht mehr<br />
genau, wer das eigentlich macht: die Galerie? Firmen?<br />
O<strong>der</strong> eine Werbeagentur? Als ein Museumsbesucher<br />
in ein Warengestell mit lauter Madonnenfiguren von<br />
mir gelaufen ist und alles in tausend Scherben zerbrach,<br />
bekam ich vom Museum einen Dreizeiler, ob<br />
»mein Studio« das nicht einfach neu machen könne,<br />
nach dreißig Jahren. Ich bin doch keine Industrieproduktion!<br />
Die machen aber einem doch auch kein Auto<br />
von vor dreißig Jahren!<br />
BF: In deiner Kunst fällt auf, dass gerade in <strong>der</strong> radikalen<br />
materiellen Vergegenständlichung eine enorme Beseelung<br />
steckt.<br />
KF: Es ist alles Handarbeit, Manufaktur. Ich mache eigentlich<br />
nur Prototypen. Dinge, die aussehen, als seien<br />
sie industriell gefertigt, als fehle ihnen die Handschrift.<br />
Aber sie haben eine Handschrift. Die Assistenten, die<br />
ich beschäftige, sind allesamt Künstler. Wir setzen alles<br />
gemeinsam um, es ist herkömmliche künstlerische Arbeit,<br />
keine Industrieproduktion. Das, was da die Seele<br />
ausmacht, ist, dass es beim fertigen Kunstwerk immer<br />
etwas geben muss, das sich entzieht, das nicht kontrollierbare<br />
Moment, nur so gibt es Spannung und bekommt<br />
ein Eigenleben.<br />
BF: Die Frage ist ja: Ab wann empfindet man etwas als<br />
»seelisch aufgeladen«?<br />
KF: In meinen Werken steckt mein ganzes Leben. Alles,<br />
was sich nicht in Worte fassen lässt, alle erdenklichen<br />
Atmosphären sind in meinen Objekten gespeichert.<br />
Das liegt auch an dem höchst komplizierten<br />
Fertigungsprozess. Dadurch laden sich diese Objekte<br />
immer mehr auf. Und sie erfüllen keinen Zweck. Sie<br />
sind einfach nur da. Es sind eine Art selbstständig gewordene<br />
Kin<strong>der</strong>. Man kann sie anschauen und nichts<br />
passiert – aber plötzlich kippt die Wahrnehmung, und<br />
man sieht sie ganz an<strong>der</strong>s, und sei es für Sekunden.<br />
Es geht darum, aus dem Alltag herauszukippen. Zum<br />
Beispiel diese hier stehenden schwarzen Vasen. Man<br />
kann sie klar als solche erkennen, aber plötzlich sieht<br />
man momenthaft etwas an<strong>der</strong>es. Eine solche Vase<br />
stand bei meiner Großmutter auf dem Klavier, da waren<br />
Chrysanthemen drin.<br />
BF: Die Vasen sind Skulpturen, ich kann mir darin gar keine<br />
Blume vorstellen.<br />
KF: Die Vase ist einfach ein Objekt, nicht für Blumen<br />
gedacht.<br />
BF: Bei Schnitzler gibt es diese typische Serialität: So, wie<br />
die von Hofreiter produzierten Glühbirnen gleich aussehen,<br />
so müssen sich die Menschen ähneln. Wer auffällt,<br />
aus <strong>der</strong> Reihe tanzt, ist gefährlich, nicht mehr lesbar. Hofreiter<br />
empfindet seine eigene Frau als unheimlich, als sie<br />
sich weigert, den Reigen des allgemeinen Fremdgehens<br />
selbst mitzumachen. Er kann seine Frau nicht als seriellen<br />
weiblichen Gegenstand sehen, so wie er es <strong>der</strong> Einfachheit<br />
halber gerne würde, denn sie lässt es nicht zu.<br />
Urplötzlich sieht er in ihr etwas, was ihm Angst macht.<br />
Und er findet nicht mehr zurück zu seinem angestammten<br />
Blick, dieses »an<strong>der</strong>e« bleibt.<br />
KF: Er verliert den gewohnten Zusammenhang. De<br />
Chirico hat das beschrieben: Wenn man die Begriffe<br />
wegnimmt, kann man die Dinge nicht mehr einordnen.<br />
Wenn die Vase nicht mehr Vase heißt, ist sie keine<br />
mehr. Kin<strong>der</strong>, die noch keine Begriffe kennen, identifizieren<br />
sich mit den Gegenständen, weil sie sie nicht<br />
benennen und dadurch von sich fernhalten können.<br />
Das war bei mir als Kind auch so. Alles hatte eine Seele,<br />
alles war ich. Wenn das Sprachgefüge nicht da ist,<br />
gibt es auch kein Gesellschaftsgefüge. Alles ist Fetisch.<br />
Es gibt keine Koordinaten. Das ist für mich in<br />
meiner Arbeit wichtig: das schwarze Loch, in das man<br />
hineinschaut. Tod, Unendlichkeit – für eine Sekunde<br />
wird das sichtbar. Es ist <strong>der</strong> Sturz ins Bodenlose, weil<br />
das Vertraute weg ist. Im weiten Land ist im fünften Akt<br />
jegliches Vertrauen weg. Da wird es vollends unheimlich.<br />
Das ist die unmittelbare Vorkriegsatmosphäre, da<br />
bricht die Gewalt aus. Ab da ist dann alles möglich.<br />
Zu Beginn des Stücks stirbt schon die Musik, da bringt<br />
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