Festivalkatalog der Ruhrtriennale 2022
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des Kommunismus, alternativlos geblieben, weil es sich<br />
<strong>der</strong> ureigenen menschlichen Neigung, etwas zu entwickeln,<br />
sich zu steigern, zu wachsen, besser zu werden,<br />
in den Wettbewerb mit dem Mitmenschen zu treten,<br />
bedient. Dazu kommt die euphorisierende Wirkung von<br />
neuen materiellen Besitztümern und an<strong>der</strong>er Errungenschaften.<br />
Das dabei kurzfristig ausgeschüttete Dopamin<br />
führt uns schnell in eine immer enger getaktete<br />
Abhängigkeit. Wir werden, wie Philip Slater schon 1980<br />
beschrieben hat, zu »wealth addicts«. Das verträgt sich<br />
übrigens auch bestens mit grüner Nachhaltigkeit und<br />
Sozialdemokratie. Es kann ja recycelt und gespendet<br />
werden.<br />
Ich bin kein Wirtschaftsexperte. Ich versuche daher,<br />
nicht aufzuklären – auch wenn EUPHORIA vielleicht<br />
einen gewissen aufklärerischen und informativen Charakter<br />
hat –, son<strong>der</strong>n vielmehr einen uns umgebenden<br />
vielstimmigen Choral aus verschiedenen Meinungen<br />
ertönen zu lassen – übrigens auch im wörtlichen Sinne:<br />
Es wird viel gesungen in EUPHORIA.<br />
Erzähl doch bitte, wie du Bil<strong>der</strong> und Texte zusammenbringst.<br />
Dadurch, dass ich die Textbausteine von ihren Quellen<br />
befreie, neu kombiniere, auch mit Bil<strong>der</strong>n und Handlungsorten,<br />
die scheinbar nicht zusammengehören,<br />
werden die Zuhörer:innen aktiviert. Sie müssen sich<br />
selbst in diesen Asymmetrien zurechtfinden. Das ist<br />
sehr herausfor<strong>der</strong>nd, beson<strong>der</strong>s in dieser sehr textlastigen<br />
Arbeit. Aber <strong>der</strong> verän<strong>der</strong>te Kontext schafft<br />
auch eine ungeheure Konzentration und Öffnung<br />
gegenüber den aus den ursprünglichen Zusammenhängen<br />
gerissenen Gedanken. Diese Methode macht<br />
mir große Freude, denn es interessiert mich, eingefahrene<br />
Erzählstrukturen sprachlicher und bildlicher Art<br />
zu unterlaufen. Die bekannten kulturellen »Gefäße«, in<br />
denen Inhalte traditionell transportiert werden, for<strong>der</strong>n<br />
viel Eigenleistung, verstellen aber auch den unvoreingenommenen<br />
Blick darauf. In Manifesto hatte ich dieses<br />
Verfahren des Neukontextualisierens von Textbausteinen<br />
auch angewendet. Durch die Montage hatte<br />
man die Chance, die in den Manifesten tradierten Gedanken<br />
komplett neu zu entdecken. Sie wurden nicht<br />
verstellt durch die auratische Aufladung <strong>der</strong> Namen<br />
ihrer Urheber:innen o<strong>der</strong> <strong>der</strong>en damit gewöhnlicherweise<br />
verbundenen Bildwelten.<br />
In EUPHORIA habe ich Textfragmente aus 2000 Jahren<br />
Menschheitsgeschichte versammelt, Fragmente<br />
aus theoretischen, philosophischen und fiktionalen<br />
Texten, die die Geschichte <strong>der</strong> menschlichen Gier<br />
dokumentieren. Sie öffnen den Blick auf die Genese<br />
des Kapitalismus und seiner pervertierten Form, <strong>der</strong><br />
völlig enthemmten neoliberalen Marktwirtschaft, wie<br />
wir sie heute erleben. Die meisten <strong>der</strong> verwendeten<br />
Texte stammen aber aus <strong>der</strong> Gegenwart. Gesprochen<br />
werden sie von Schauspieler:innen, denen wir in vertrauten,<br />
alltäglichen Szenerien begegnen. Die Protagonist:innen<br />
dieser Szenen sind von <strong>der</strong> Gesellschaft<br />
marginalisierte Menschen: Obdachlose, unterbezahlte<br />
Arbeiter:innen aus Logistikzentren, Kin<strong>der</strong> aus armen<br />
Verhältnissen, Taxifahrer – sie alle diskutieren, mit<br />
einem ungeheuren Wissen ausgestattet, über die Pro<br />
und Kontras ökonomischer Ideen, Strömungen und<br />
Systeme. Da es sich – an<strong>der</strong>s als bei Manifesto – nicht<br />
um poetische Texte handelt, bestand hier die Schwierigkeit<br />
darin, diese Gedankengänge in eine Verständlich-<br />
und Sinnlichkeit zu übersetzen. Es wird für die Besucher:innen<br />
herausfor<strong>der</strong>nd, vielleicht phasenweise<br />
aber auch nervig werden.<br />
ES INTERESSIERT<br />
MICH, EINGEFAHRENE<br />
ERZÄHLSTRUKTUREN<br />
SPRACHLICHER UND<br />
BILDLICHER ART ZU<br />
UNTERLAUFEN<br />
Du bist ein bildmächtiger Künstler. Welche Szenerien hast<br />
du für deine neue Arbeit gewählt?<br />
Die Arbeit besteht aus verschiedenen Elementen. Da<br />
ist zum einen die lebensgroße Projektion von 150 Jugendlichen<br />
des Brooklyn Youth Chorus. Sie stehen um<br />
das Publikum herum und nehmen die Rolle des Chores<br />
aus <strong>der</strong> antiken Tragödie ein, <strong>der</strong> als Gewissen <strong>der</strong> Gesellschaft<br />
das Geschehen kommentiert. Dieser Chor<br />
kommuniziert musikalisch mit fünf Screens, auf denen<br />
Schlagzeuger:innen zu sehen und hören sind. Großartige<br />
Jazzmusiker aus den USA und Kuba, die Algorithmen,<br />
Zahlungsströme in Musik übersetzen. Sie sind<br />
die treibende Kraft. Dann gibt es einen Hauptscreen,<br />
auf dem sechs Szenen zu sehen sein werden. In ihnen<br />
sieht man zum Beispiel einen Taxifahrer durchs nächtliche<br />
New York fahren, auf <strong>der</strong> Rückbank einen stillen<br />
Fahrgast. Er philosophiert über die Zeit, in <strong>der</strong> wir<br />
leben. Draußen ist die Welt nicht mehr intakt, etwas<br />
muss passiert sein, seltsame Figuren bevölkern die<br />
Stadt. Die zweite Szene zeigt eine Gruppe Obdachloser,<br />
die über die zwei großen konträren Wirtschaftstheorien<br />
debattieren – über einen staatlich regulierten<br />
versus einen entfesselten freien Markt. In <strong>der</strong> dritten<br />
Szene erörtern Fabrikarbeiterinnen die Ursprünge des<br />
Reichtums <strong>der</strong> westlichen Welt als Folge von Kolonialismus<br />
und Sklaverei. In <strong>der</strong> vierten finden wir uns in<br />
einer Bank wie<strong>der</strong>, in <strong>der</strong> wir einem kollektiven hypnotischen<br />
Ritual beiwohnen, das komplett außer Kontrolle<br />
gerät. In einem verlassenen Busbahnhof, <strong>der</strong> an<br />
eine <strong>der</strong> Ruinen <strong>der</strong> stillgelegten Automobilindustrie<br />
Detroits erinnert, skaten in <strong>der</strong> fünften Szene ein paar<br />
Teenager und entwerfen zukunftstaugliche Ideen, die<br />
über unsere Zeit hinausweisen. Und in <strong>der</strong> letzten Szene<br />
begegnen wir in einem geschlossenen Supermarkt<br />
einem plün<strong>der</strong>nden und marodierenden Tiger, <strong>der</strong> zynisch<br />
über die Menschheit räsoniert.<br />
Dem Tiger verleiht Cate Blanchett ihre Stimme. Sie war<br />
schon in Manifesto die großartige Protagonistin. Virginia<br />
Newcomb und Giancarlo Esposito spielen mit, neben<br />
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