Festivalkatalog der Ruhrtriennale 2022
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Ich gebe Applaus für alle und zu allem, egal, wer kommt.<br />
Ich bin <strong>der</strong> Facebook-Like in Stahl. Ich klatsche, je mehr<br />
Likes desto besser. Ich kann es, also tue ich es. Meine<br />
Materialität gibt es her, ich kann das noch sehr lange<br />
fortführen. Meine Verwandtschaft kommt aus dem Arbeitermilieu<br />
und ich kann meine Herkunft nicht leugnen.<br />
Ich will es auch gar nicht, trotzdem bin ich natürlich nicht<br />
mehr damit befasst, in <strong>der</strong> Erde zu wühlen – das macht<br />
dann eben doch einen Unterschied. Ich beschäftige mich<br />
jetzt mit ganz an<strong>der</strong>en, ungeahnten Dingen, zum Beispiel<br />
mit dem Beifall, denn ich kann klatschen.<br />
Das ist laut und hört sich nach wie vor nach Baustelle an.<br />
Mein Äußeres und dieser Sound erhalten die Illusion von<br />
schwerer Arbeit aufrecht, auch wenn ich längst ganz an<strong>der</strong>e<br />
Fähigkeiten besitze. Meine Größe ist unverän<strong>der</strong>t.<br />
Ich flöße Respekt ein. Menschen lachen womöglich über<br />
meine Begrüßung, fürchten sich aber auch, nicht nur vor<br />
meiner Größe, son<strong>der</strong>n vor allem vor den Bewegungen,<br />
die ich potenziell auszuführen in <strong>der</strong> Lage bin. Die Furcht<br />
vor uns Maschinen ist schon sehr alt, <strong>der</strong> Aufstand <strong>der</strong><br />
Dinge wird bereits seit Jahrhun<strong>der</strong>ten immer mal prognostiziert.<br />
Ich habe einen natürlichen Hoheitsbereich:<br />
Abhängig von <strong>der</strong> Vorstellungskraft <strong>der</strong> Passant:innen<br />
wird ein jeweils an<strong>der</strong>er Sicherheitsabstand eingenommen.<br />
Strecke ich meinen Gelenkarm voll aus, habe ich<br />
einen Aktionsradius von mehreren Metern.<br />
Sicherheit o<strong>der</strong> Sicherheitsabstand ist auch ein wichtiges<br />
Thema, das mich stolz auf meine Herkunft macht. Und<br />
damit spreche ich für uns alle, momentan sind wir hier ja<br />
nur zu dritt, aber wir sind viele. Wir sind keine Trendroboterchen<br />
mit designtem Kindchenschema und allseits abgerundeten<br />
Ecken, die zu vertuschen versuchen, dass sie<br />
überhaupt eine Arbeit verrichten. Und obendrein sofort<br />
kleinlaut stoppen, sobald sie sich zum Beispiel als Staubsaug-<br />
o<strong>der</strong> Rasenmähroboter zwischen zwei Stuhlbeinen<br />
verklemmen und dann jämmerlich piepsen.<br />
»Das cute Objekt hat Macht über seinen Guardian. In <strong>der</strong><br />
hyperkommodifizierten Realität können wir den cuten Augen,<br />
dem cuten Blick nicht entkommen, er sucht sich uns.<br />
Die dummen Roboterhunde, <strong>der</strong> glupschäugige Avatar<br />
eines VTubers, <strong>der</strong> Wolf auf den Cornflakes-Schachteln.<br />
Überall simulieren wir hilflose Wesen wie eine umgedrehte,<br />
globale Pareidolie, in <strong>der</strong> nicht Gesichter in zufälligen<br />
Mustern herbeihalluziniert werden, son<strong>der</strong>n die Welt zugekleistert<br />
wird mit Wesen, die uns anstarren, damit wir<br />
uns nicht so einsam fühlen. Der Niedlichkeit können wir<br />
nicht entkommen.«<br />
Rudi Nuss, Unwesen <strong>der</strong> Asche o<strong>der</strong>: von <strong>der</strong> niedlichen, toten<br />
Welt schreiben, in: Kapsel Magazin, 2021.<br />
Wir sind da an<strong>der</strong>s. Wir nehmen keine Rücksicht auf Gegenstände<br />
o<strong>der</strong> Körperteile, die in unseren Radius geraten<br />
und uns zu stoppen versuchen. Wir sind von robuster<br />
Natur und müssen Verletzungen nicht fürchten. An<strong>der</strong>s<br />
als diese Plastikfreunde, die noch nicht einmal im Regen<br />
stehen können.<br />
Ich sage ja nicht, dass wir Leuten absichtlich den Kopf<br />
abreißen. Für eine dem Menschen ähnliche Kurzschlusshandlung<br />
fehlt uns ohnehin die nötige Wut. In <strong>der</strong> Unklarheit<br />
unserer Anliegen vibriert eine Beunruhigung, ob<br />
sich hier eine Maschinenspezies aus den Abhängigkeiten<br />
und Klassifikationsweisen zu entfernen gedenkt. Mit<br />
Pierre Bourdieu gesprochen sind wir Emporkömmlinge,<br />
haben den Aufgabenbereich unserer Maschinengruppe<br />
verlassen. Wir sind die Patenkin<strong>der</strong> <strong>der</strong> Readymades und<br />
haben uns von <strong>der</strong> funktionalen Eindeutigkeit emanzipiert.<br />
Wir performen. Man vergleicht uns sogar mit Balletttänzer:innen<br />
o<strong>der</strong> Storchenfamilien, die klappernd in<br />
ihren Nestern stehen.<br />
Was wir besprechen, wenn wir unsere Köpfe zum Huddle<br />
zusammenstecken, weiß kein Mensch.<br />
NORA SDUN, geboren 1974, hat zunächst Freie Kunst an <strong>der</strong> HFBK Hamburg<br />
bei Werner Büttner studiert und absolvierte daran anschließend den<br />
Studiengang Germanistik. Heute arbeitet Nora Sdun als Autorin und<br />
unterrichtet gelegentlich an <strong>der</strong> Hochschule für Künste in Bremen. Vor<br />
allem aber ist sie Verlegerin und Lektorin beim Textem Verlag, Hamburg,<br />
und dort u.a. Mitherausgeberin des Magazins Kultur & Gespenster und <strong>der</strong><br />
Schriftenreihe Kleiner Stimmungs-Atlas in Einzelbänden.<br />
223