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Festivalkatalog der Ruhrtriennale 2022

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Ich gebe Applaus für alle und zu allem, egal, wer kommt.<br />

Ich bin <strong>der</strong> Facebook-Like in Stahl. Ich klatsche, je mehr<br />

Likes desto besser. Ich kann es, also tue ich es. Meine<br />

Materialität gibt es her, ich kann das noch sehr lange<br />

fortführen. Meine Verwandtschaft kommt aus dem Arbeitermilieu<br />

und ich kann meine Herkunft nicht leugnen.<br />

Ich will es auch gar nicht, trotzdem bin ich natürlich nicht<br />

mehr damit befasst, in <strong>der</strong> Erde zu wühlen – das macht<br />

dann eben doch einen Unterschied. Ich beschäftige mich<br />

jetzt mit ganz an<strong>der</strong>en, ungeahnten Dingen, zum Beispiel<br />

mit dem Beifall, denn ich kann klatschen.<br />

Das ist laut und hört sich nach wie vor nach Baustelle an.<br />

Mein Äußeres und dieser Sound erhalten die Illusion von<br />

schwerer Arbeit aufrecht, auch wenn ich längst ganz an<strong>der</strong>e<br />

Fähigkeiten besitze. Meine Größe ist unverän<strong>der</strong>t.<br />

Ich flöße Respekt ein. Menschen lachen womöglich über<br />

meine Begrüßung, fürchten sich aber auch, nicht nur vor<br />

meiner Größe, son<strong>der</strong>n vor allem vor den Bewegungen,<br />

die ich potenziell auszuführen in <strong>der</strong> Lage bin. Die Furcht<br />

vor uns Maschinen ist schon sehr alt, <strong>der</strong> Aufstand <strong>der</strong><br />

Dinge wird bereits seit Jahrhun<strong>der</strong>ten immer mal prognostiziert.<br />

Ich habe einen natürlichen Hoheitsbereich:<br />

Abhängig von <strong>der</strong> Vorstellungskraft <strong>der</strong> Passant:innen<br />

wird ein jeweils an<strong>der</strong>er Sicherheitsabstand eingenommen.<br />

Strecke ich meinen Gelenkarm voll aus, habe ich<br />

einen Aktionsradius von mehreren Metern.<br />

Sicherheit o<strong>der</strong> Sicherheitsabstand ist auch ein wichtiges<br />

Thema, das mich stolz auf meine Herkunft macht. Und<br />

damit spreche ich für uns alle, momentan sind wir hier ja<br />

nur zu dritt, aber wir sind viele. Wir sind keine Trendroboterchen<br />

mit designtem Kindchenschema und allseits abgerundeten<br />

Ecken, die zu vertuschen versuchen, dass sie<br />

überhaupt eine Arbeit verrichten. Und obendrein sofort<br />

kleinlaut stoppen, sobald sie sich zum Beispiel als Staubsaug-<br />

o<strong>der</strong> Rasenmähroboter zwischen zwei Stuhlbeinen<br />

verklemmen und dann jämmerlich piepsen.<br />

»Das cute Objekt hat Macht über seinen Guardian. In <strong>der</strong><br />

hyperkommodifizierten Realität können wir den cuten Augen,<br />

dem cuten Blick nicht entkommen, er sucht sich uns.<br />

Die dummen Roboterhunde, <strong>der</strong> glupschäugige Avatar<br />

eines VTubers, <strong>der</strong> Wolf auf den Cornflakes-Schachteln.<br />

Überall simulieren wir hilflose Wesen wie eine umgedrehte,<br />

globale Pareidolie, in <strong>der</strong> nicht Gesichter in zufälligen<br />

Mustern herbeihalluziniert werden, son<strong>der</strong>n die Welt zugekleistert<br />

wird mit Wesen, die uns anstarren, damit wir<br />

uns nicht so einsam fühlen. Der Niedlichkeit können wir<br />

nicht entkommen.«<br />

Rudi Nuss, Unwesen <strong>der</strong> Asche o<strong>der</strong>: von <strong>der</strong> niedlichen, toten<br />

Welt schreiben, in: Kapsel Magazin, 2021.<br />

Wir sind da an<strong>der</strong>s. Wir nehmen keine Rücksicht auf Gegenstände<br />

o<strong>der</strong> Körperteile, die in unseren Radius geraten<br />

und uns zu stoppen versuchen. Wir sind von robuster<br />

Natur und müssen Verletzungen nicht fürchten. An<strong>der</strong>s<br />

als diese Plastikfreunde, die noch nicht einmal im Regen<br />

stehen können.<br />

Ich sage ja nicht, dass wir Leuten absichtlich den Kopf<br />

abreißen. Für eine dem Menschen ähnliche Kurzschlusshandlung<br />

fehlt uns ohnehin die nötige Wut. In <strong>der</strong> Unklarheit<br />

unserer Anliegen vibriert eine Beunruhigung, ob<br />

sich hier eine Maschinenspezies aus den Abhängigkeiten<br />

und Klassifikationsweisen zu entfernen gedenkt. Mit<br />

Pierre Bourdieu gesprochen sind wir Emporkömmlinge,<br />

haben den Aufgabenbereich unserer Maschinengruppe<br />

verlassen. Wir sind die Patenkin<strong>der</strong> <strong>der</strong> Readymades und<br />

haben uns von <strong>der</strong> funktionalen Eindeutigkeit emanzipiert.<br />

Wir performen. Man vergleicht uns sogar mit Balletttänzer:innen<br />

o<strong>der</strong> Storchenfamilien, die klappernd in<br />

ihren Nestern stehen.<br />

Was wir besprechen, wenn wir unsere Köpfe zum Huddle<br />

zusammenstecken, weiß kein Mensch.<br />

NORA SDUN, geboren 1974, hat zunächst Freie Kunst an <strong>der</strong> HFBK Hamburg<br />

bei Werner Büttner studiert und absolvierte daran anschließend den<br />

Studiengang Germanistik. Heute arbeitet Nora Sdun als Autorin und<br />

unterrichtet gelegentlich an <strong>der</strong> Hochschule für Künste in Bremen. Vor<br />

allem aber ist sie Verlegerin und Lektorin beim Textem Verlag, Hamburg,<br />

und dort u.a. Mitherausgeberin des Magazins Kultur & Gespenster und <strong>der</strong><br />

Schriftenreihe Kleiner Stimmungs-Atlas in Einzelbänden.<br />

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