Festivalkatalog der Ruhrtriennale 2022
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MS: Ich teile diese Ansichten. In einem unserer Interviews<br />
fiel <strong>der</strong> Satz: »Vielleicht begründet sich die Tragödie unserer<br />
Gesellschaft darin, dass die meisten Menschen nicht den<br />
Sex bekommen, den sie sich wünschen.« Ich denke, die Welt<br />
sähe völlig an<strong>der</strong>s aus, wenn sich das än<strong>der</strong>n würde.<br />
MI: Ja, mit Sicherheit.<br />
WIE VIEL MEINES<br />
SEXUELLEN HANDELNS<br />
KOMMT WIRKLICH<br />
VON MIR? WIE VIEL<br />
IST ERLERNT, UND WIE<br />
VIEL STEHT UNTER<br />
DEM EINFLUSS DER<br />
ZIRKULIERENDEN<br />
BILDER, AUF DIE WIR<br />
ALLE ZUGRIFF HABEN?<br />
MS: Als du vor fünf Jahren to come (extended) erarbeitet<br />
hast, war eine Pandemie bloss ein fiktives Horrorszenario<br />
und jetzt, wo wir zusammen sprechen, am 7. März <strong>2022</strong>,<br />
scheint sich diese endlich einem Ende zuzuneigen, aber<br />
die Welt sieht in Europa gerade sehr düster aus.<br />
MI: Ja, Corona wird plötzlich nebensächlich, was angesichts<br />
<strong>der</strong> aktuellen Geschehnisse auch natürlich<br />
ist, und man kann sich nur eingeschränkt darüber<br />
freuen, dass sich das Ende einer Periode einstellt, die<br />
uns lange Zeit beschäftigt hat, da die eine Krise von<br />
<strong>der</strong> nächsten abgelöst wird. In diesen Tagen gestaltet<br />
sich das Spüren <strong>der</strong> Freude, über die wir gesprochen<br />
haben, durchaus als komplexes Unterfangen; aber als<br />
ich überlegt habe, welche <strong>der</strong> älteren Gruppen-Performances<br />
ich gern noch einmal aufgreifen würde, erschien<br />
mir to come (extended) am sinnvollsten. Das<br />
Projekt weist Parallelen auf zu <strong>der</strong> Situation, in <strong>der</strong> wir<br />
uns während <strong>der</strong> letzten zwei Jahre befunden haben.<br />
Es gab keine Zusammenkünfte und keinen körperlichen<br />
Kontakt, und gegenseitiges Berühren und sogar<br />
die bloße Nähe zu an<strong>der</strong>en Menschen sind zu einer<br />
Gefahr geworden. Mein Gefühl sagt mir, dass es außerordentlich<br />
wichtig ist, wie<strong>der</strong> Freude zu empfinden<br />
und sich darüber zu freuen, wie<strong>der</strong> zusammen zu sein.<br />
Und in to come (extended) geht es genau darum; die<br />
Performance besteht aus Gruppenchoreografien und<br />
Gruppendynamiken und beschreibt, was sich nicht allein,<br />
son<strong>der</strong>n nur als Gruppe erreichen lässt. Es gibt<br />
nicht ein einziges Solo in <strong>der</strong> gesamten Performance,<br />
son<strong>der</strong>n ausschließlich kollektive Bewegungen innerhalb<br />
von Gruppenkonstellationen. Gewissermaßen<br />
lässt sich das als Statement gegenüber unserer aktuellen<br />
Situation auffassen, in <strong>der</strong> wir uns überlegen, wie<br />
wir unser Sozialleben wie<strong>der</strong> mit neuer Energie aufladen<br />
können. Ich denke nämlich, dass es genau das ist,<br />
was wir uns alle wünschen – zumindest wünsche ich<br />
es mir. Und es gibt vermutlich eine Menge Leute, die<br />
sich einen spielerischen sozialen Kontext wünschen,<br />
<strong>der</strong> ein Zusammenkommen erlaubt, weil wir darauf<br />
über einen langen Zeitraum hinweg verzichten mussten.<br />
Endlich scheint das wie<strong>der</strong> möglich zu sein, und<br />
wir befinden uns an einem entscheidenden Punkt, an<br />
dem wir ausarbeiten können, wie wir ein Zusammensein<br />
gestalten möchten.<br />
In to come (extended) hat sich METTE INGVARTSEN choreografisch mit <strong>der</strong> Sexualität in ihrer<br />
sozialen und politischen Sphäre beschäftigt. Auch MATS STAUB setzt sich im Rahmen seiner<br />
Arbeit Intime Revolution mit den sprachlichen Facetten von Sexualität auseinan<strong>der</strong>.<br />
Gemeinsam sprechen sie über Vergnügen, Machtstrukturen und den kulturellen Einfluss<br />
auf Orgasmen.<br />
Foto: Bea Borgers (Mette Ingvatsen)<br />
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