Festivalkatalog der Ruhrtriennale 2022
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Anlässlich <strong>der</strong> deutschen Erstaufführung von Seek Bromance<br />
spricht die Dramaturgin Sara Abbasi mit dem<br />
Film- und Performancekünstler Samira Elagoz über Gen<strong>der</strong>-Identität,<br />
Männlichkeitsbil<strong>der</strong> und die Frage, wie es<br />
sich anfühlt, als transmaskuliner Künstler auf die eigene<br />
Femme-Vergangenheit zurückzublicken und dieser auf <strong>der</strong><br />
Bühne wie<strong>der</strong>zubegegnen.<br />
Sara Abbasi: Im September wirst du nach eineinhalb Jahren<br />
Pause deine Performance Cock, Cock... Who’s There?<br />
wie<strong>der</strong> auf die Bühne bringen. Als diese Arbeit im Jahr<br />
2016 entstand, identifiziertest du dich als Frau, heute<br />
identifizierst dich als transmaskulin – was in deiner neuen<br />
Arbeit Seek Bromance thematisiert wird. Du wirst beide<br />
Arbeiten an aufeinan<strong>der</strong>folgenden Abenden zeigen. Was<br />
verbindest du mit dem Gedanken an die Wie<strong>der</strong>begegnung<br />
mit deiner Vergangenheit?<br />
Samira Elagoz: Cock, Cock... Who’s There? ist eine Ode<br />
an das Frausein – ich feiere es. Die Performance steht für<br />
die Tatsache, dass ich an meiner Zeit als Frau nichts hätte<br />
än<strong>der</strong>n wollen. Viele Leute denken, ich hätte mich für<br />
die Transition entschieden, weil ich als Frau nicht glücklich<br />
gewesen wäre, aber das stimmt nicht. Ich hatte eine<br />
lange, komplexe und hingebungsvolle Beziehung zum<br />
Frausein. Ich habe es umfassend erkundet, aber es entspricht<br />
nicht mehr dem, was ich heute bin. Und in diesem<br />
Sinne ist Cock, Cock... Who’s There? ein Abgesang auf<br />
mein Leben als Frau, das ich aber sehr hochhalte.<br />
In mir wächst jedoch eine Logik, die in Frage stellt, ob<br />
ich es jemals wirklich war; die anerkennt, dass ich bloß<br />
damit beschäftigt war, die Rolle gut zu spielen, sie zu<br />
beherrschen. In dieser Logik sehe ich mein Frausein als<br />
Erfahrung, aber nicht als Identität. Und wenn ich die<br />
Künstlichkeit dessen abstreife, fühlt es sich beinahe an<br />
wie ein System, das darauf programmiert war, Weiblichkeit<br />
zu performen. Mein Frausein fand in diesen Parametern<br />
statt, in den Grenzen und mit den Requisiten,<br />
sodass meinem Verhalten etwas Reaktionäres o<strong>der</strong> gar<br />
Lebloses inhärierte. Als eine Rolle, die ich nicht wirklich<br />
angenommen, son<strong>der</strong>n vielmehr aufgeklebt hatte. Und<br />
doch bleibt die Tatsache, dass meine Zeit als Frau geprägt<br />
hat, wer ich heute bin. Deshalb bleibt sie Teil meiner<br />
Biografie, auch wenn ich es nicht mehr sein möchte.<br />
Ich habe Cock, Cock... Who’s There? seit meiner Transition<br />
erst einmal aufgeführt und hatte dabei das starke<br />
Gefühl, zu zweit auf <strong>der</strong> Bühne zu sein. Und zum ersten<br />
Mal in vier Jahren auf Tour habe ich nach <strong>der</strong> Show<br />
geweint. Nicht aus Traurigkeit, son<strong>der</strong>n aus Bewun<strong>der</strong>ung<br />
für das, was ich getan habe, wer ich gewesen<br />
bin. Ich finde Cock, Cock... Who’s There? noch immer<br />
sehr gewaltig, geradezu historisch. Es zeugt von einer<br />
Heftigkeit, die kein männliches Wesen jemals haben<br />
kann – das kann nur eine Femme so machen. Und <strong>der</strong><br />
Optimismus, den ich in Cock, Cock... Who’s There? erkannte,<br />
dieser Wille, es trotzdem zu versuchen, und die<br />
Weigerung, aufzugeben, war ein Zeichen <strong>der</strong> Hoffnung.<br />
Ich war ziemlich stolz auf das Bild einer Femme, das ich<br />
geschaffen hatte.<br />
SA: In Seek Bromance wohnen wir dem Moment deiner ersten<br />
Testosteronspritze bei und bekommen den Eindruck,<br />
an etwas sehr Biografischem teilzuhaben. Natürlich ist<br />
diese Szene nicht <strong>der</strong> Beginn deiner Transition. Würdest<br />
du aus heutiger Perspektive sagen, dieser Prozess begann<br />
bereits während deiner Arbeit an Cock, Cock... Who’s<br />
There?? Wo siehst du – von heute aus betrachtet – die<br />
Verbindungslinien zwischen Cock, Cock... Who’s There?<br />
und Seek Bromance?<br />
SE: Der Prozess <strong>der</strong> Transition ist wie das Schneiden eines<br />
Films: Du weißt nicht unmittelbar, was du erschaffst.<br />
Erst in <strong>der</strong> Rückschau kannst du gewisse Muster und<br />
Gesetzmäßigkeiten eines Geschmacksurteils erkennen,<br />
kannst du sehen, was die einzelnen Schritte waren. Die<br />
Frage des »Warum« ist ein Luxus des Rückblicks und<br />
nicht die Vorbedingung <strong>der</strong> Entscheidung.<br />
Menschen basieren auf ihren Geschichten. Die Erzählung<br />
von jedem steinigen Weg lautet, dass er »mich zu<br />
dem Menschen gemacht hat, <strong>der</strong> ich heute bin«. Doch<br />
viele unserer Absichten sind wohl außerhalb unserer<br />
kleinen, fürsorglichen Zirkel nicht erkennbar. Wir erfinden<br />
Geschichten o<strong>der</strong> Bil<strong>der</strong> o<strong>der</strong> Gesten, die den<br />
Begrenzungen dessen entschlüpfen, was uns mitgegeben<br />
wurde. Wir erfinden es auf dem Weg, werden zu<br />
Künstler:innen des Lebens selbst.<br />
DER PROZESS DER<br />
TRANSITION IST WIE<br />
DAS SCHNEIDEN EINES<br />
FILMS: DU WEISST<br />
NICHT UNMITTELBAR,<br />
WAS DU ERSCHAFFST.<br />
»Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es«,<br />
schreibt Simone de Beauvoir – und dieses Wesen wird<br />
von <strong>der</strong> »Gesamtheit <strong>der</strong> Zivilisation gestaltet«.1 Daraus<br />
folgere ich, dass Männer ebenso in Geschlechternormen<br />
gefangen und selbst Opfer des verdammten Strebens<br />
nach mythischen männlichen Gewissheiten sind.<br />
In letzter Zeit habe ich überlegt, ob ich jemals eine Ode<br />
an die Männlichkeit verfassen würde. Doch wo Cock,<br />
Cock... Who’s There? das Frausein feiert und darauf<br />
besteht, sich nicht dafür zu entschuldigen, wäre ein<br />
solcher Ansatz in Bezug auf Männlichkeit skrupellos<br />
und unverschämt, weil diese voller toxischer Fallen ist.<br />
Egal wie sehr du hoffst, ein besserer Mann zu sein, du<br />
wirst in einige dieser Fallen treten. Und obwohl Seek<br />
Bromance in Teilen erkundet, was für eine Art von<br />
Mann jede:r von uns sein möchte, erkennen wir am<br />
Ende, dass bereits dem Streben nach Männlichkeit<br />
das Scheitern innewohnt.<br />
Nicht nur weil »traditionelle« männliche Eigenschaften<br />
mit Aggression, Frauenfeindlichkeit usw. verknüpft<br />
sind o<strong>der</strong> weil es <strong>der</strong> Männlichkeit an guten Vorbil<strong>der</strong>n<br />
fehlt, son<strong>der</strong>n weil die Gesellschaft mir zeigt, dass<br />
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1 Simone de Beauvoir: Das an<strong>der</strong>e Geschlecht. Sitte und Sexus <strong>der</strong> Frau. Rowohlt, Hamburg 1951, S. 265.