RES VON JOANNA BEDNARCZYK RESPUBLIKA Łukasz Twarkowski / Bogumil Misala / Joanna Bednarczyk / Fabien Lèdè / Lithuanian National Drama Theatre Schauspiel / Rave ab 9. September <strong>2022</strong> Siehe S. 62 _______________ www.ruhr3.com/respublika 170
Es ist <strong>der</strong> Beginn <strong>der</strong> Pandemie, als Łukasz anruft und sagt, dass er meine Hilfe braucht. Ich kenne ihn nicht gut. Wir haben uns einige Male in unserem Leben bei Theaterveranstaltungen gesehen. Je<strong>der</strong> kennt jeden in <strong>der</strong> Theaterwelt, aber nicht immer beson<strong>der</strong>s gut. Wir werden uns bald sehr gut kennenlernen. * Am 1. März 2019 steigt mein Partner in ein Flugzeug nach Washington. Er soll dort fünf Monate als Stipendiat verbringen. Der Plan ist, dass ich mich ihm im April anschließe. Ich schließe mich nicht an. Der Beginn <strong>der</strong> Pandemie »erwischt« mich in meinem Heimatdorf, wo ich meine Eltern besuche. Ich bleibe bei ihnen. Ich schreibe einen Roman. Ich rufe meinen Freund an. Ich lese Bücher und Nachrichten. In Zooms erzählt mir Łukasz von einer seltsamen Gruppe, <strong>der</strong> er angehört. Je<strong>der</strong> Tag verläuft gleich. * Ende März 2020 – <strong>der</strong> weltweite Lockdown dauert seit mehreren Wochen an. Die Nachrichten aktualisieren fortlaufend die Zahl <strong>der</strong> Infektionen und Opfer, am tragischsten ist es in Italien. Ich erhalte die Ergebnisse einer Untersuchung, die ich vor <strong>der</strong> Pandemie habe machen lassen. Ich bin krank. Ich benötige eine Operation. Die Ärztin sagt mir, dass die Krankenhäuser keine an<strong>der</strong>en Operationen durchführen als solche, die Leben retten. Ich muss warten. Einer meiner Lymphknoten ist geschwollen. Bei einem privaten Arztbesuch bekomme ich ein Antibiotikum. Der öffentliche Gesundheitssektor befasst sich nur noch mit Covid. Die Angst wächst. Ich mache mir Sorgen um meine Gesundheit. Ich mache mir Sorgen ums Geld. Alle Produktionen, die ich geplant hatte, wurden abgesagt. Der Kontakt mit meinem Freund in Washington über Facetime macht mich fertig. Schließlich kehre ich nach Warschau zurück, um mich mit dem Projekt von Łukasz und seiner Gruppe zu befassen. Als ich verreiste, dachte ich, ich würde nach einer Woche zurückkehren. Ich war zwei Monate weg. Die Blumen sind vertrocknet. Jemand hat mir mein Fahrrad aus dem Treppenhaus geklaut. Weiterhin werden Flüge aus Washington wenige Stunden vor dem Abflug gestrichen. Ich bin einsam, fürchte mich. Ich weiß nicht, was ich mit mir anfangen soll. Die Welt ist seltsam und fremd. Ich habe die Zeiten, in denen ich lebe, nie wirklich gemocht. Jetzt gefallen sie mir noch weniger. * Łukasz erzählt mir immer mehr von seiner Gruppe. Er nennt sie Respublika. Sie leben in <strong>der</strong> Nähe von Vilnius und verbringen ihre Tage damit, Raves vorzubereiten und verbringen die Nächte auf diesen Raves. Aus dem, was er sagt, schließe ich, dass dies keine riesigen Raves sind. Ein Dutzend Leute tanzt einfach im Wald, unter ihnen auch Łukasz. Er sagt, sie wollen raus aus dem Wald und anfangen, die Welt zu bereisen. Sie wollen Raves organisieren, aber keine gewöhnlichen Raves. An<strong>der</strong>e. Solche, die an eine Theatervorstellung erinnern. O<strong>der</strong> einen Film. O<strong>der</strong> eine Ausstellung. Sie brauchen ein Skript für ihre Auftritte. Jemand, <strong>der</strong> den gesamten Weg von A bis Z aufschreibt. Ein Drehbuch, das man an verschiedenen Orten wie<strong>der</strong>holen kann. Wie eine Show. Łukasz schickt mir Aufnahmen vom Aufenthalt <strong>der</strong> Gruppe im Wald. Mehrere Dutzend Stunden, mehrere Dutzend Gigabytes. Ich bin Schriftstellerin, Textdateien nehmen wenig Platz weg. Zum ersten Mal in meinem Leben kaufe ich externe Festplatten, um weitere Aufnahmen darauf zu laden. Ich habe mir nie gerne Aufnahmen von Proben, Improvisationen und Übungen angesehen. Ich breite weitere Puzzles auf dem Boden aus und höre einfach nur zu. Die Leute auf den Aufnahmen sitzen sowieso meistens da und sprechen. Der Ausdruck ihrer Gesichter interessiert mich nicht. Ich höre alles über die Stimme. Die Worte sind kurz und knapp, weil eines <strong>der</strong> Gruppenmitglie<strong>der</strong> sie aus dem Litauischen übersetzt. Er ist kein professioneller Übersetzer. Ich vermute, er übersetzt »so ungefähr«, ohne Finesse. * ICH BEGINNE LANGSAM ZU VERSTEHEN, DASS ES IHNEN UM EIN ANDERES, VIELLEICHT BESSERES MODELL DER WELT GEHT. UND DASS SIE VERSUCHEN, DIESE WELT IN SICH SELBST AUFZUBAUEN, DURCH PRIVATE UND SEHR INTIME ERFAHRUNGEN. In weiteren Zooms gibt mir Łukasz mehr Informationen über die Gruppe. Ich bin unglücklich und habe Angst. Mein Partner sitzt im Ausland fest, und ich versuche mithilfe von Videoschnipseln und Łukasz’ Geschichten zu verstehen, worum es dieser Gruppe von Leuten geht, die im Wald leben und Techno auflegen. Aus Angst und Einsamkeit fange ich an, innerlich alles zu sabotieren, worüber Łukasz spricht, aber ich mache es so, dass er es nicht registriert. Er ist meine einzige Verbindung zur Gruppe. Ich habe den Eindruck, dass er kein guter Link ist. Er ist nicht in <strong>der</strong> Lage, mir gut zu übermitteln, was ihre Vision ist. Was sie tun und weshalb. Ich stelle ihm viele Fragen, bohre nach, weil ich trotz allem das Gefühl habe, dass ich mich auf eine seltsame Weise zu dieser Gruppe hingezogen fühle, auch wenn seine Erklärungen unklar sind. Vielleicht kommt meine Sabotage daher, dass die Gruppe genau das macht, was ich gerne machen würde, mir aber <strong>der</strong> Mut fehlt? Also rede ich mir lieber ein, dass sie ein Haufen Freaks sind? * 171
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