Festivalkatalog der Ruhrtriennale 2022
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Hillbrowfication wurde 2018 von <strong>der</strong> Choreografin<br />
Constanza Macras in Zusammenarbeit mit <strong>der</strong> Choreografin<br />
Lisi Estarás im Hillbrow Theater in Johannesburg<br />
produziert. In <strong>der</strong> Produktion kamen Performer:innen<br />
mehrerer Generationen zusammen; so wirkten 21 Kin<strong>der</strong><br />
und Jugendliche aus Hillbrow im Alter von 5 bis 19 Jahren<br />
und drei professionelle Tänzer:innen aus Berlin und<br />
Johannesburg mit.<br />
Vier Jahre nach <strong>der</strong> Uraufführung sind die Ensemblemitglie<strong>der</strong>,<br />
die damals Kin<strong>der</strong> waren, inzwischen Teenager.<br />
Diejenigen, die Teenager waren, sind nun junge Erwachsene.<br />
Einige wohnen immer noch in Hillbrow, an<strong>der</strong>e sind<br />
weggezogen. »Mit <strong>der</strong> Zeit wachsen wir, und ich glaube,<br />
die Inszenierung wächst mit uns. Inzwischen betrachten<br />
wir sie an<strong>der</strong>s als früher. Und die Welt sehen wir auch<br />
an<strong>der</strong>s, unsere Ansichten haben sich verän<strong>der</strong>t,« meint<br />
Nompilo Hadebe.<br />
Heute schauen wir gemeinsam auf den Entstehungsprozess<br />
zurück und denken darüber nach, wie unsere Erlebnisse<br />
<strong>der</strong> letzten vier Jahre unsere Vorstellungen von <strong>der</strong><br />
Arbeit, von Hillbrow und von einer Zukunft geprägt haben.<br />
Der folgende Text verfolgt die Spuren <strong>der</strong> Gespräche<br />
zwischen den Mitwirkenden Nompilo Hadebe, Tshepang<br />
Lembelo, Jackson Magotlane, Tisetso Maselo, Pearl Sigwagwa<br />
aus Hillbrow und mir, Tamara Saphir, einer argentinischen<br />
Künstlerin aus Berlin, die im Projekt als Dramaturgin<br />
mitgewirkt hat.<br />
Weltraumgeschichten, Zukunftsstädte<br />
Hillbrow ist ein Stadtteil von Johannesburg in Südafrika.<br />
Einst als Vorzeigebezirk geplant, wurde das Viertel während<br />
<strong>der</strong> Siebzigerjahre zu einem ausschließlich weißen<br />
Gebiet. Mit seinen herrlichen Parks, Hochhäusern und<br />
Cafés wurde es später ein eher gemischtes Viertel und<br />
ein Schwerpunkt <strong>der</strong> aufsteigenden Schwarzen Mittelklasse.<br />
Gegen Ende <strong>der</strong> Apartheid verließ die Mittelklasse<br />
das Viertel eilig und zog in die Außenbezirke. Immer mehr<br />
Gebäude wurden besetzt. Mit dem Verfall des Bezirks<br />
gingen die Preise abrupt in den Keller, und Hillbrow wurde<br />
attraktiv für Migrant:innen aus an<strong>der</strong>en afrikanischen<br />
Län<strong>der</strong>n auf <strong>der</strong> Suche nach günstigerem Wohnraum. In<br />
den Neunzigern wurde das Viertel entkernt, Verbrechen,<br />
Bandenaktivitäten und fremdenfeindliche Gewalt boomten.<br />
Seitdem steht Hillbrow häufig synonym für Verbrechen,<br />
Gewalt und Armut.<br />
Tshepang: An Hillbrowfication finde ich gut, dass alles<br />
wirklich dort stattfindet. In Hillbrow gibt es nämlich<br />
nicht nur Gewalt, es hat auch positive Seiten. Es<br />
gibt einen starken Zusammenhalt und viele Vereine,<br />
die den Leuten helfen. Es ist sehr vielfältig. Hier leben<br />
Menschen aus verschiedenen Län<strong>der</strong>n, vor allem aus<br />
Afrika (Mosambik, Namibia, Kongo, Nigeria …). Für uns<br />
Südafrikaner:innen ist das prima, wir können an<strong>der</strong>e<br />
Kulturen kennenlernen, sie respektieren und miteinan<strong>der</strong><br />
reden.<br />
In Hillbrow war die Gewalt vor vier Jahren schlimmer<br />
als jetzt. Ständig wurde ich auf <strong>der</strong> Straße überfallen.<br />
Das war total stressig! Aber seit dem Lockdown habe<br />
ich den Eindruck, dass es irgendwie ruhiger geworden<br />
ist … Polizei und Soldaten haben ständig patrouilliert.<br />
Nompilo und Jackson sind an<strong>der</strong>er Meinung. Wie Tshepang<br />
wohnen sie immer noch in Hillbrow, finden aber nicht, dass<br />
es sich im Vergleich beson<strong>der</strong>s verän<strong>der</strong>t hat.<br />
Jackson meint sogar: »In vieler Hinsicht ist es schlimmer<br />
geworden. Aber auch unsere Sicht auf das Viertel<br />
hat sich verän<strong>der</strong>t.«<br />
Pearl führt das aus: Als ich klein war, war Hillbrow für<br />
mich einfach ein Ort mit vielen Leuten. Aber als Teenager<br />
habe ich mit einem neuen Bewusstsein auch neue<br />
Ängste entwickelt. Man hört zum Beispiel von gefährlichen<br />
Sachen und Drogen. Man sieht, wie die Leute<br />
da leben, und kapiert, wie arm die sind! Die wohnen<br />
Tshepang Lembelo<br />
177