Gesetz ohne Gott
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2. Die Verabschiedung <strong>Gott</strong>es aus dem Fundament des Naturrechts<br />
Der Verzicht auf <strong>Gott</strong> in der Begründung eines überzeitlich geltenden Rechts und der sich<br />
damit eröffnende Problemhorizont werden gemeinhin als Beginn des neuzeitlichen<br />
Naturrechts genommen. Ein erstes Mal kündigt sich die Möglichkeit eines solchen Verzichts<br />
beim nominalistischen Augustiner Gregor von Rimini bereits um die Mitte des 14.<br />
Jahrhunderts an: „Nam, si per impossibile ratio divina sive deus ipse non esset aut ratio illa<br />
esset errans, adhuc, si quis ageret contra rectam rationem angelicam vel humanam aut aliam<br />
aliquam, si qua esset, peccaret.“ 15<br />
Der Neuzeit blieb Gregors Werk weitgehend unbekannt;<br />
nicht zuletzt deshalb, weil eine kritisch kommentierte Ausgabe fehlte. Erst in Hugo Grotius’<br />
1625 erschienenem Werk De iure belli ac pacis finden wir den Gedanken erneut. Nach einer<br />
Darstellung der aus der menschlichen Vernunftnatur abgeleiteten Normen wird er auch hier<br />
mit grosser Vorsicht vorgetragen:<br />
„Diese hier dargelegten Bestimmungen würden auch Platz greifen, selbst wenn man annähme,<br />
was freilich <strong>ohne</strong> die grösste Sünde nicht geschehen könnte, dass es keinen <strong>Gott</strong> gäbe oder dass<br />
er sich um die menschlichen Angelegenheiten nicht bekümmere. [...] Aber selbst das oben<br />
erwähnte Naturrecht [...] muss, obgleich es aus dem inneren Wesen des Menschen kommt, doch<br />
in Wahrheit <strong>Gott</strong> zugeschrieben werden, weil er gewollt hat, dass dieses menschliche Wesen<br />
besteht.“ 16<br />
Selbst wenn die Existenz <strong>Gott</strong>es in keinem der beiden Fälle angezweifelt wird, soll die<br />
Geltung überzeitlicher Rechtsinhalte <strong>ohne</strong> Rekurs auf <strong>Gott</strong> auskommen. Dass zwei Stellen<br />
angeführt werden können, die einander zeitlich recht fern und inhaltlich sehr nahe stehen,<br />
zeigt, dass das systematische Moment des <strong>Gott</strong>esverzichts historisch nicht an einem einzigen<br />
Punkt ansetzt. Als eigentlichen Anfangsmoment markiere ich den späteren, da nur er eine<br />
wesentliche Anknüpfung und Fortsetzung erfährt, während in der Zeit nach Gregor von<br />
Rimini weiterhin die Ansicht dominierte, dass allein das Faktum einer göttlichen Setzung die<br />
Geltung einer natürlichen Satzung garantieren kann. Erst seit dem 17. Jahrhundert vermochte<br />
die neue Problemstellung in den Debatten um ein überzeitlich geltendes Recht Fuss zu fassen.<br />
Dass die Vorstellung eines säkular begründeten Naturrechts im 17. Jahrhundert<br />
durchschlagende Wirkung entfalten konnte, kommt bei Carl Schmitt als Strang einer weit<br />
15 „Denn wenn, was aber unmöglich ist, die göttliche Vernunft oder <strong>Gott</strong> selbst nicht existierten oder jene<br />
Vernunft irrte, so würde immer noch sündigen, wer gegen die rechte Vernunft handelte, sei diese nun engelhaft<br />
oder menschlich oder, wenn es eine solche denn gäbe, irgendeine andere.“ (Gregorii Ariminensis OESA Lectura<br />
super primum et secundum sententiarum, Bd. 6, hg. von A. Damasus Trapp und Venicio Marcolino, Berlin/New<br />
York: de Gruyter 1980, S. 235, Übersetzung J.H.)<br />
16 Hugo Grotius: De iure belli ac pacis libri tres. Drei Bücher vom Recht des Krieges und des Friedens, Paris<br />
1625, nebst einer Vorrede von Christian Thomasius zur ersten deutschen Ausgabe des Grotius vom Jahre 1707,<br />
neuer deutscher Text und Einleitung von Dr. Walter Schätzel (Die Klassiker des Völkerrechts, Bd. 1), Tübingen:<br />
J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1950, S. 33.<br />
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