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Gesetz ohne Gott

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solche systemtheoretisch geleiteten Versuche deshalb gerade dort verhaftet, wo sie zur<br />

Dekonstruktion eines offen behaupteten antreten.<br />

4.3 Derrida und die Benennung der grundlosen Gewalttat am Grund des Rechts<br />

Die Stille systemtheoretischer Dekonstruktionsversuche durchbricht mit Jacques Derrida<br />

gerade ein Vertreter der Dekonstruktion. Auf die anfängliche Entscheidung weist er ebenso<br />

hin wie auf ihr Verschweigen. Zugleich fördert er in solcher Offenlegung zutage, was zum<br />

Verschweigen der unentscheidbaren Entscheidung gedrängt hatte – die ungerechtfertigte<br />

Gewalt des Anfangs: „Weil sie sich definitionsgemäss auf nichts anderes stützen können als<br />

auf sich selbst, sind der Ursprung der Autorität, die (Be)gründung oder der Grund, die<br />

Setzung des <strong>Gesetz</strong>es in sich selbst eine grund-lose Gewalt(tat).“ 288<br />

Dass sich diese Stelle als eine Beschreibung des Dezisionismus lesen lässt, wird an einem<br />

zentralen dezisionistischen Merkmal deutlich, das bei Carl Schmitt auftrat und das Derrida<br />

vorführt, <strong>ohne</strong> es ausdrücklich zu benennen: Es liegt in der Zusammenführung von Autorität<br />

und Setzung, die stets einen gemeinsamen Ursprung haben, wo der Entscheid über das Recht<br />

<strong>ohne</strong> externe Rechtfertigung fällt. Im immanenten Modus seines Zustandekommens wird der<br />

Setzungsentscheid restlos einer Autorität zugewiesen, die sich ihrerseits allein dadurch als<br />

Autorität erweist, dass von ihr die Entscheidung ausgeht.<br />

Diese Verflechtung ist insofern bedeutsam, als sie ein aufschlussreiches Licht auf Titel und<br />

Thema von Derridas Schrift wirft: „<strong>Gesetz</strong>eskraft. Der ‚mystische Grund der Autorität’“ – die<br />

in Anführungszeichen gesetzte Wendung des Untertitels stammt von Pascal, der, <strong>ohne</strong> ihn zu<br />

nennen, Montaigne zitiert. 289 Derrida kündigt an, den Ausdruck in einer „aktiven, niemals<br />

gewaltfreien Interpretation“ einer neuen Lesart zuzuführen. 290 In den folgenden Erläuterungen<br />

konzentriert er sich in erster Linie auf le fondement mystique, den mystischen Grund. Implizit<br />

gibt er allerdings auch dem Begriff der Autorität eine Deutung, die mir nicht weniger<br />

folgenreich scheint. „Autorität“ wird bei Pascal auf die Gerechtigkeit bezogen, während<br />

Montaigne Recht von Gerechtigkeit trennt und von Ansehen und Autorität der <strong>Gesetz</strong>e<br />

spricht. 291<br />

Letzteres liesse sich zunächst auch mit Blick auf Derrida vermuten, zumal der<br />

288<br />

Jacques Derrida: <strong>Gesetz</strong>eskraft. Der „mystische Grund der Autorität“, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1991, S. 29.<br />

Der faktischen Grundlosigkeit erster Setzungen ist sich mit Blick auf die Geschichte auch Thomas Hobbes<br />

bewusst, wenn er am Ende des Leviathan darauf hinweist, dass es kaum einen Staat auf der Welt gebe, „dessen<br />

Anfänge mit gutem Gewissen zu rechtfertigen sind.“ (Hobbes: Leviathan, 1991, S. 539.)<br />

289<br />

Vgl. dazu Derrida: <strong>Gesetz</strong>eskraft, S. 23-25.<br />

290<br />

Ebd., S. 23.<br />

291<br />

Vgl. ebd., S. 24f.<br />

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