Gesetz ohne Gott
Gesetz ohne Gott
Gesetz ohne Gott
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Gegenstrebigkeit eine Bewegung bedeutet und die beschriebene Aufhebung die eigentliche<br />
Bewegung der gegenstrebigen Fügung bildet, strebt das Recht letztlich gegen das <strong>Gesetz</strong> hin<br />
und fügt sich ihm. Anders als Strauss darlegt, liegt keine Okkupation des <strong>Gesetz</strong>es durch das<br />
Recht vor. Vielmehr haben wir Hobbes’ Naturrechtskonzeption vom <strong>Gesetz</strong> her zu lesen, das<br />
nichts anderes ist als ein säkular zu begreifendes <strong>Gesetz</strong> der Vernunft. In der Vernunft ist<br />
denn auch der Angelpunkt der Hobbesschen Theorie zu sehen. Strauss übersieht dies, indem<br />
er die Vernunft in den Schatten der Leidenschaft rückt: „Was bei den meisten Menschen<br />
zumeist am mächtigsten ist, ist nicht die Vernunft, sondern die Leidenschaft. [...] Das<br />
Naturgesetz muss von der mächtigsten aller Leidenschaften abgeleitet werden.“ 106 Die<br />
mächtigste aller Leidenschaften ist die Todesfurcht. 107 Ihr zur Seite stellt Hobbes im<br />
Leviathan die Begierde nach einem angenehmen Leben. Doch sind dies nur die Antriebe, die<br />
den Menschen friedfertig machen; seine Möglichkeit, den Naturzustand zu überwinden, liegt<br />
indessen „teils in den Leidenschaften, teils in seiner Vernunft“. 108 Noch enger knüpft Hobbes<br />
die Verbindung von Leidenschaft und Vernunft in De Cive, wo er als die beiden sichersten<br />
Forderungen der menschlichen Natur „die Forderung der natürlichen Vernunft, vermöge<br />
deren jeder dem gewaltsamen Tode als dem höchsten Übel der Natur auszuweichen sucht“,<br />
von der Forderung der natürlichen Begierde nach alleinigem Gebrauch der gemeinsamen<br />
Dinge unterscheidet. 109<br />
Die Todesfurcht wird hier von den übrigen Leidenschaften abgesetzt,<br />
indem sie als Auftraggeber der Vernunft erscheint. Sowohl in De Cive wie im Leviathan<br />
kommt der Vernunft die entscheidende Rolle nun dadurch zu, dass sie die Grundsätze des<br />
Friedens nahe legt und in der natürlichen Sphäre die Brücke zwischen Recht und <strong>Gesetz</strong><br />
schafft.<br />
Allerdings gilt es gerade in der gegenseitigen Bezogenheit von <strong>Gesetz</strong> und Recht die<br />
Differenz zwischen beiden aufrecht zu erhalten. Jede Interpretation, welche die beiden<br />
Phänomene aufgrund ihrer Nähe vermengt, wird das Hobbessche Modell des Staatsvertrags<br />
als in sich widersprüchlich auffassen und in ihrem Kern verfehlen müssen. Ein Beispiel<br />
solcher fehlgeleiteter Deutung mag Niklas Luhmann geben, der sich zwar nicht spezifisch auf<br />
Hobbes bezieht, ihn aber auch nicht aus seiner allgemeinen Beobachtung zum Naturrecht des<br />
17. und 18. Jahrhunderts ausschliesst:<br />
„Die natürliche Freiheit wird durch den Gesellschaftsvertrag, den Staatsvertrag, die<br />
Individualverträge eingeschränkt, wenn nicht ganz geopfert. Die Freiheitsemphase, die einen<br />
freien, eben vertraglichen, Verzicht auf Freiheit miteinschliesst, legitimiert zugleich den<br />
Verzicht auf Widerstandsrecht und die Subjektion des Subjekts im absoluten Staat. Auch hier<br />
106 Strauss: Naturrecht und Geschichte, S. 187.<br />
107 Vgl. dazu den Beginn meines Kapitels 3.2.1.<br />
108 Hobbes: Leviathan, 1991, S. 98.<br />
109 Ders.: Vom Menschen; Vom Bürger, S. 62.<br />
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