Gesetz ohne Gott
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3.2.2 Die Eigenständigkeit des natürlichen <strong>Gesetz</strong>es innerhalb der gegenstrebigen Fügung<br />
von Recht und <strong>Gesetz</strong><br />
Einen eindeutigen Hinweis, dass die Pflicht nicht nur auf andere geht, sondern reflexiv auf<br />
das Eigene weist, liefert Hobbes dort, wo er den Gedanken des natürlichen <strong>Gesetz</strong>es, das<br />
Selbsterhaltung gebietet, auch in den Bereich ausdehnt, der jenseits der Notwendigkeit der<br />
Staatsgründung und damit jenseits aller sozialen Bindung liegt:<br />
„Es gibt auch noch andere Dinge, die zur Vernichtung von einzelnen Menschen führen wie<br />
Trunksucht und alle anderen Arten von Unmässigkeit, die man deshalb ebenfalls zu den Dingen<br />
rechnen kann, die das natürliche <strong>Gesetz</strong> verboten hat. Es ist aber weder nötig, sie ausdrücklich<br />
zu erwähnen, noch gehören sie unbedingt in diesen Zusammenhang.“ 82<br />
Sind diese privaten Aspekte der lex naturalis für den Zusammenhang des vertraglich<br />
begründeten Staatswesens nicht relevant, bieten sie doch der hier verhandelten Frage den<br />
sicheren Boden. 83<br />
Sie zeigen, dass die Selbsterhaltung tatsächlich nicht allein als natürliches<br />
Recht zu nehmen ist, sondern einen verpflichtenden Zug hat, der sich nicht aus dem Recht<br />
deduzieren und deshalb auch nicht darauf reduzieren lässt. Das für Hobbes grundlegende<br />
Faktum der Selbsterhaltung nimmt nicht nur die Gestalt der Freiheit an, sondern meldet sich<br />
auch als deren konkrete Einschränkung, als Pflicht gegen sich selbst. Denn vom Laster der<br />
Trunksucht zu lassen, kann von Hobbes her nicht als Zweig der Freiheit verstanden werden,<br />
sondern steht ihr als Schranke entgegen.<br />
Damit erweist sich, dass das natürliche <strong>Gesetz</strong> im Leviathan jenseits von Sozialität als eine<br />
Pflicht in Erscheinung treten kann, der kein Recht zugrunde liegt. Um das Verhältnis von<br />
natürlichem <strong>Gesetz</strong> und natürlichem Recht weiter aufzudecken, obliegt in einem nächsten<br />
Schritt die Prüfung, ob das natürliche <strong>Gesetz</strong> auch in sozialer Hinsicht einen eigenständigen<br />
Pflichtcharakter wahrt. Die Eigenständigkeit des <strong>Gesetz</strong>es tritt, wie es am Beispiel der<br />
Trunksucht deutlich wurde, dort zutage, wo sich sein Wesen als Einschränkung zeigt. Liegt<br />
die Freiheit des Rechts im Fehlen der Schranke oder, wie Hobbes formuliert, in der<br />
82 Hobbes: Leviathan, 1991, S. 120.<br />
83 In der neun Jahre vor dem Leviathan veröffentlichten Schrift De Cive (erste lateinische Fassung 1642; zweite,<br />
revidierte und ergänzte lateinische Fassung 1647) findet sich das Verbot übermässigen Trinkens hingegen direkt<br />
an die übrigen <strong>Gesetz</strong>e geknüpft und bewahrt von hier soziale Relevanz: Da alle natürlichen <strong>Gesetz</strong>e Gebote der<br />
rechten Vernunft sind, erfordert ihre Einhaltung die Fähigkeit des rechten Vernunftgebrauchs. Trunk und Rausch<br />
sind dieser Fähigkeit abträglich, so dass Mässigkeit im Alkoholkonsum eine condicio sine qua non für die<br />
Einhaltung aller übrigen sozial relevanten natürlichen <strong>Gesetz</strong>e darstellt und damit selbst als sozial relevantes<br />
natürliches <strong>Gesetz</strong> in Betracht kommt. (Vgl. ders.: Vom Menschen; Vom Bürger, S. 109.) Zugleich scheint aber<br />
auch in De Cive die privatisierte Seite des natürlichen <strong>Gesetz</strong>es auf. Am Ende des 3. Kapitels, in dem die<br />
verschiedenen <strong>Gesetz</strong>e der Natur entwickelt werden, markiert Hobbes die Bedeutung von Mässigkeit und<br />
Widerstand für die je eigene Selbsterhaltung: „Daneben gibt es aber noch andere Gebote der natürlichen<br />
Vernunft, aus denen andere Tugenden entspringen; so ist die Mässigkeit ein Gebot der Vernunft, weil die<br />
Unmässigkeit zur Krankheit und zum Tode führt; ebenso die Standhaftigkeit, d.h. das Vermögen, bei<br />
gegenwärtigen Gefahren, die schwerer zu vermeiden als zu überwinden sind, kräftigen Widerstand zu leisten;<br />
denn sie ist ein Mittel, wodurch sich der Widerstehende erhält.“ (Ebd., S. 113.)<br />
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