Gesetz ohne Gott
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Gesetz ohne Gott
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erhalten wird möglich nur, wo Frieden herrscht. Zugleich gestattet der zweite Teil der Regel,<br />
sich bei Unerreichbarkeit des Friedens aller kriegerischen Mittel zu bedienen, worin nach<br />
Hobbes der Grundsatz des natürlichen Rechts liegt: „Der erste Teil dieser Regel enthält das<br />
erste und grundlegende <strong>Gesetz</strong> der Natur, nämlich: Suche Frieden und halte ihn ein. Der<br />
zweite Teil enthält den obersten Grundsatz des natürlichen Rechts: Wir sind befugt, uns mit<br />
allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu verteidigen.“ 89<br />
Um die Hierarchie zwischen<br />
natürlichem <strong>Gesetz</strong> und Recht zu bestimmen, haben wir uns die Anlage dieses ersten der<br />
sechzehn konkreten <strong>Gesetz</strong>e detailliert vor Augen zu führen.<br />
Hobbes unterscheidet offensichtlich zwischen erstem und grundlegendem <strong>Gesetz</strong> der Natur<br />
90<br />
und erstem <strong>Gesetz</strong> der Natur, wobei letzteres in seinem ersten Teil ersteres enthält. Dieser<br />
erste Teil des ersten <strong>Gesetz</strong>es, das Selbsterhaltung qua Friedenssuche gebietet, bildet das<br />
allgemeine Telos der fünfzehn übrigen <strong>Gesetz</strong>e. Alle führen sie direkt oder indirekt, explizit<br />
oder implizit darauf zurück. 91<br />
Den Verweisungszusammenhang macht Hobbes deutlich, wo er<br />
das grundsätzliche <strong>Gesetz</strong> der Natur, sich um Frieden zu bemühen, in eine zweite und<br />
substanziellere Formulierung bringt. Dem Einwand, seine „Ableitung der natürlichen <strong>Gesetz</strong>e<br />
sei zu kompliziert“, hält er am Ende seiner Erläuterung der Vernunftvorschriften entgegen,<br />
dass sie sich „zu einer auch dem bescheidensten Verstande leicht einsehbaren Maxime“<br />
89<br />
Ebd., S. 100.<br />
90<br />
Vgl. ebd., S. 99f.<br />
91<br />
Das zweite <strong>Gesetz</strong> (Aufgabe des ius in omnia um des Friedens willen) wird aus dem ersten abgeleitet (vgl.<br />
ders.: Leviathan, 1991, S. 100), das dritte (pacta sunt servanda) aus dem zweiten (110), das vierte (Dankbarkeit<br />
für vorausgegangene Gunst) ebenso wie das fünfte (Anpassung an die übrigen Menschen) und das sechste<br />
(Verzeihung früherer Angriffe gegen eine Sicherheitsleistung für die Zukunft) folgen wiederum aus dem ersten<br />
(116f.), das siebte (Ausrichtung von Rache an deren künftigem Nutzen) geht auf das sechste zurück (117), das<br />
achte (Verbot von Beleidigungen) aufs erste (117f.), das neunte (jeder soll den Andern als von Natur aus gleich<br />
anerkennen, da Frieden nur unter für alle gleichen Bedingungen zu erreichen ist) aufs zweite (118), das zehnte<br />
(gleiche Rechte für alle) und das elfte (Billigkeit) aufs neunte (118f.), das zwölfte (Umgang mit unteilbaren<br />
Dingen) und dreizehnte (Umgang mit unteilbaren und nicht gemeinsam geniessbaren Dingen) aufs elfte (119),<br />
das vierzehnte (sicheres Geleit für Friedensmittler) wie das fünfzehnte (Streitparteien sollen sich in Fragen der<br />
Auslegung des natürlichen <strong>Gesetz</strong>es dem Urteil eines Schiedsrichters unterwerfen und nicht in Krieg verfallen)<br />
werden schliesslich erneut auf das erste natürliche <strong>Gesetz</strong> zurückbezogen (119f.). In seinem Rückblick am Ende<br />
des Leviathan fügt Hobbes diesen im 14. und 15. Kapitel erläuterten <strong>Gesetz</strong>en noch das sechzehnte hinzu, dass<br />
im Krieg jeder verpflichtet ist, nach Kräften diejenige Autorität zu schützen, von der er in Friedenszeiten Schutz<br />
empfängt (536). Hobbes belegt die natürlichen <strong>Gesetz</strong>e nur bis zum neunten mit Ziffern und bedient sich vom<br />
zehnten an nur noch formelhafter Wendungen wie „Von diesem <strong>Gesetz</strong> hängt ein anderes ab: [...].“ oder „Ferner<br />
ist dies eine Vorschrift des natürlichen <strong>Gesetz</strong>es: [...].“ (118) Die <strong>Gesetz</strong>e 12 und 13, die zwei nur leicht anders<br />
gelagerte Fälle regeln, könnten aufgrund dieser Nähe auch als 12a und 12b gefasst werden. Solcher<br />
Zusammenfassung zuwiderlaufend unternimmt Wolfgang Kersting eine noch weitergehende Unterteilung und<br />
gelangt zu insgesamt neunzehn Vernunftvorschriften, indem er präzisierende Bestimmungen wie diejenige, dass<br />
niemand als Richter in eigener Sache urteilen dürfe, dass unparteiliche Richter nicht zuzulassen seien oder dass<br />
der Richter neben den Streitparteien auch Zeugen anzuhören habe, als je selbständige Vorschriften aufführt. Da<br />
im Leviathan diese Bestimmungen nicht deutlich als eigenständige ausgewiesen werden, ordne ich sie als<br />
analytisch abzuleitende Unterpunkte der jeweils übergeordnet auftretenden Bestimmung zu. Zur<br />
Alternativzählung vgl. Kersting: Thomas Hobbes zur Einführung, S. 132-136. Die Regel, die Hobbes im<br />
Rückblick als eigenes, wenn auch ebenfalls anderweitig ableitbares natürliches <strong>Gesetz</strong> anschliesst, bleibt bei<br />
Kersting unberücksichtigt.<br />
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