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Gesetz ohne Gott

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zweiteilige Titel des Textes einen Bezug zum <strong>Gesetz</strong> nahe legt. Solche Bezugnahme liegt<br />

jedoch nur in vermittelter Weise vor, indem die Autorität der <strong>Gesetz</strong>e durch ein autoritäres<br />

Subjekt, einen souveränen Entscheider verbürgt wird. Denn die <strong>Gesetz</strong>e und ihre Kraft<br />

verdanken sich einer „Gewalt(tat)“, was auf eine entscheidende Handlung einer aufgrund<br />

dieser Handlung autoritären Person oder Personengruppe schliessen lässt. <strong>Gesetz</strong>eskraft und<br />

Autorität sind demnach nicht insofern aufeinander bezogen, als den <strong>Gesetz</strong>en eine eigene<br />

autoritäre Kraft innewohnt. Diese könnten sie nur über den Rekurs auf eine äussere<br />

legitimatorische Grösse, aus einer sie transzendierenden Wertbeziehung schöpfen. Weil ihnen<br />

jeder externe Legitimationsbezug fehlt, muss sich ihre Geltungskraft allein aus der personalen<br />

Autorität speisen, die über ihre Setzung bestimmt.<br />

Wie ist nun das Verhältnis der von mir bei Derrida markierten Momente Autorität,<br />

Entscheidung, Gewalt und Schweigen zu deuten? Was die vier Begriffe zusammenführt, ist<br />

das Faktum der Unentscheidbarkeit, das auch für Derrida den grundlosen Boden der<br />

Entscheidung liefert: „Jeder Entscheidung, jeder sich ereignenden Entscheidung, jedem<br />

Entscheidungs-Ereignis wohnt das Unentscheidbare wie ein Gespenst inne, wie ein<br />

wesentliches Gespenst.“ 292 Wo Unentscheidbarkeit, d.h. die Unmöglichkeit externer<br />

Begründung, den Ausgangspunkt bildet, ereignet sich die Recht setzende Entscheidung allein<br />

durch Autorität. Wo der Unentscheidbarkeit mit solch autoritärer Entscheidung begegnet<br />

wird, hat die Stiftung des Rechts die Gestalt der Gewalt. Gewalt, so formuliert der Historiker<br />

Dominick LaCapra in seiner Auseinandersetzung mit Derridas <strong>Gesetz</strong>eskraft, „ist irgendwie<br />

ein Kennzeichen für die Aporie und ein Name für das Unentscheidbare.“ 293 Der<br />

Zusammenhang ist hier deutlich erkannt, mit der Identifizierung von Aporie und Gewalt<br />

allerdings verkürzt wiedergegeben. Denn bei genauerem Hinsehen liegt Gewalt erst darin,<br />

dass aus der Ausweglosigkeit ein Weg gebrochen und die Unentscheidbarkeit zur<br />

Entscheidung gedrängt wird. Weil ihr jedes Deshalb fehlt, tritt die Entscheidung als rohes<br />

Trotzdem auf. Gewalt aber muss verschwiegen werden, soll das Recht als Recht sich<br />

behaupten können: „Die gewaltsame Struktur der stiftenden Tat birgt ein Schweigen: ein<br />

Schweigen ist darin eingeschlossen oder vermauert.“ 294<br />

Es ist dieser Ort des Schweigens, den Derrida das Mystische nennt. Das Wort „mystisch“<br />

295<br />

gebraucht er demnach so, „dass es einen wittgensteinischen Anklang erhält“. Mit Blick auf<br />

Wittgenstein liesse sich hinzufügen, dass das Unaussprechliche, welches das Mystische ist,<br />

292<br />

Ebd., S. 50f.<br />

293<br />

Dominick LaCapra: „Gewalt, Gerechtigkeit und <strong>Gesetz</strong>eskraft“, in: Anselm Haverkamp (Hg.): Gewalt und<br />

Gerechtigkeit. Derrida – Benjamin, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1994, S. 143-161, 148.<br />

294<br />

Derrida: <strong>Gesetz</strong>eskraft, S. 28.<br />

295 Ebd.<br />

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