Gesetz ohne Gott
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werden: d.h. es muss gefragt werden: wie sieht ein Recht aus, gesetzt dass der Atheismus<br />
unser Schicksal ist? Muss <strong>ohne</strong> göttliches Recht das Abendland in Blut und Wahnsinn<br />
ersticken, oder können wir aus uns selbst ‚aus der terrestrisch-sterblichen Situation des<br />
Menschen’ Recht und Unrecht scheiden?“ 12<br />
Fassen wir zusammen, um die doppelseitige Problemstellung in einer einsträngigen<br />
Fragestellung zu greifen. Die beiden von der Weberstelle abgetragenen Problemkreise bilden<br />
zwei Aspekte derselben Frage nach dem naturrechtlichen Geltungsgrund. Sie betreffen je eine<br />
der beiden Konstituenten des Kompositums Natur-Recht. Das erste Problem, mit dem jeder<br />
naturrechtliche Entwurf konfrontiert ist, rückt den Rechtscharakter in den Vordergrund; hier<br />
muss geprüft werden, inwiefern nichtpositives Recht überhaupt den Anspruch, als Recht zu<br />
gelten, erheben kann. Das zweite Problem, das durch den Verlust göttlicher Verbindlichkeit<br />
aufgeworfen wird, betrifft die Natur des Menschen bzw. deren Formulierung in einer<br />
Anthropologie. Was aber das Mittelstück abgibt, das ein Oszillieren zwischen den beiden<br />
Problemen herstellt und sie auf diese Weise als einheitlichen Komplex in ihrem Inneren<br />
zusammenhält, ist eine Frage, die sich an der kurzen Weberstelle nicht ablesen lässt. Sie<br />
betrifft zunächst den erwähnten naturrechtlichen Drang nach Positivität und in Verbindung<br />
damit den problematischen Status positiver Rechtsgeltung, der eine naturrechtliche<br />
Fundierung des Rechts erst nahe legt. Die Problematisierung der positiven Geltung wird stets<br />
von der Seite des Naturrechts unternommen und das Oszillieren entsprechend immer von ihm<br />
ausgehen. Das positive Recht hingegen sucht die naturrechtlichen Zweifel an der Grundlage<br />
positiver Geltung auf dem Weg einer Absage an das Naturrecht auszuräumen, was mit Blick<br />
auf Luhmann deutlich wird: „’Geltendes’ Recht ist immer positives Recht. Wer Naturrecht –<br />
den Glauben daran mag man ihm lassen – als geltendes Recht bezeichnet, formuliert<br />
13<br />
unüberlegt.“ Rechtsgeltung wird an Positivität geknüpft und dem nichtpositiven Naturrecht<br />
jede Geltung abgesprochen. Dass allerdings auch viel zu überlegen bleibt, wo positives Recht<br />
als geltendes Recht gesetzt wird, dass das Fragen hier keineswegs zu seinem Stillstand<br />
gelangt, wird den Lauf dieser Arbeit bestimmen. Denn die positivistische Kritik am<br />
Naturrecht wird über eine kritische Prüfung der Grundlagen positiver Rechtsgeltung stets<br />
zurück zur Frage des Naturrechts führen. Und eben darin liegt der Grund, weshalb „um die<br />
Entscheidung der gleichen geistigen und rechtlichen Grundfragen, um die es in der Epoche<br />
des Naturrechts ging“, immer von neuem gerungen wurde – und bis heute gerungen wird. 14<br />
12 Jacob Taubes in einem Brief an Armin Mohler vom 14. Februar 1952, in dem er sich kritisch mit Carl<br />
Schmitts Der Nomos der Erde auseinandersetzt; Jacob Taubes: Ad Carl Schmitt. Gegenstrebige Fügung, Berlin:<br />
Merve 1987, S. 34.<br />
13 Niklas Luhmann: „Die Geltung des Rechts“, in: Rechtstheorie. Zeitschrift für Logik, Methodenlehre,<br />
Kybernetik und Soziologie des Rechts, Bd. 22 H. 1 (1991), S. 273-286, 273.<br />
14 Vgl. Ernst Cassirer: „Vom Wesen und Werden des Naturrechts“, S. 1-27, 21.<br />
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