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Gesetz ohne Gott

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Dass sich Recht nach Luhmann allein durch solche Entfaltung einer Paradoxie, „also durch<br />

Einführung identifizierender Unterscheidungen“ begründen lässt 284 , muss sich unauslöschlich<br />

in den Status des so geschaffenen Rechts einschreiben. Denn die Frage, ob die<br />

Unterscheidung von Recht und Unrecht zu Recht besteht, wird sich unter dieser<br />

Voraussetzung nie beantworten lassen. Die sich eröffnende Bodenlosigkeit wird dadurch<br />

invisibilisiert, dass die Austauschbarkeit der Werte und damit die Einheit des Codes der<br />

Thematisierung entzogen werden. 285 Kelsens Grundnorm liesse sich dem Bemühen solcher<br />

Invisibilisierung zuschlagen, da sie hinter anonymer Objektivierung verdeckt, dass darüber,<br />

was den Stempel von geltendem Recht tragen solle, nur entschieden wurde. 286<br />

Doch als eine Invisibilisierung lässt sich auch Luhmanns Hinweis auf zeit- und<br />

umweltgebundene Begründungen, auf Argumentation und Verfahren verstehen. Denn er lenkt<br />

den Blick weg von der vorgängigen Paradoxie einer Rechtsetzung aus Unentscheidbarkeit<br />

und hin zur nachträglichen Fairness der Entscheidungsfindung innerhalb eines bereits<br />

etablierten Rechtssystems. Eine systemtheoretische Dekonstruktion des Dezisionismus, die<br />

Fischer-Lescano und Christensen anstreben, kann unter Aufnahme des Luhmannschen<br />

Hinweises nicht bewerkstelligt werden. Denn am Grund des Rechts bleibt nach wie vor die<br />

blosse Entscheidung zurück. Anders als im Falle von Kelsens Grundnorm wird nicht<br />

Objektivierung als Vorher und Ausserhalb einer personalen Dezision zum Programm, sondern<br />

vielmehr Intersubjektivität im gesellschaftlichen Kommunikationsgefüge. Damit lässt sich der<br />

Schall gegenwärtig gefallener Rechtsentscheidungen dämpfen – dass der entscheidende<br />

Schuss ganz zu Beginn schon gefallen ist, bleibt indessen als Echo auch hörbar, wenn im<br />

Nachhinein darüber geschwiegen wird.<br />

Geschwiegen wird bei Fischer-Lescano und Christensen gerade über den Punkt, an dem für<br />

Schmitt das spezifisch-juristische Formelement der Dezision in absoluter Reinheit hervortritt:<br />

über den Ausnahmezustand, in dem sich derjenige als souverän erweist, der definitiv darüber<br />

entscheidet, wann die Ordnung herrscht, in der Norm und Verfahren greifen können. 287<br />

Er ist<br />

bei den Autoren weggedacht und seine Absenz hinterlässt eine Lücke, die zu füllen kaum<br />

anders möglich scheint als durch das erneute Hinzudenken einer Entscheidung, welche<br />

Gestalt sie auch immer annehmen möge. Einem verschwiegenen Dezisionismus bleiben<br />

284<br />

Ebd., S. 176.<br />

285<br />

Vgl. ebd., S. 188.<br />

286<br />

Luhmann sieht in Kelsens Grundnorm eine „Paradoxieauflösung (oder Tautologieentfaltung) mit<br />

Externalisierungstendenz“, da jenseits vom Recht eine Metaebene etabliert wird, „auf der Regeln die Geltung<br />

von Regeln regulieren“; ebd., S. 101f. Entsprechend schreibt Marie Theres Fögen mit Blick auf Luhmann:<br />

„Kelsen konnte die Paradoxie, dass Recht sich nur aus Recht begründet, nur mit Hilfe einer ausserhalb des<br />

Rechts stehenden Figur entfalten.“ (Fögen: Das Lied vom <strong>Gesetz</strong>, S. 104.) Da die Paradoxie am Grund des<br />

Rechts immer bestehen bleibt, können „Entfaltung“ und „Auflösung“ der Paradoxie nur im Sinne einer<br />

Invisibilisierung verstanden werden.<br />

287<br />

Vgl. Schmitt: Politische Theologie, S. 19f.<br />

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