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Gesetz ohne Gott

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Zwei Gemeinsamkeiten sind es, die sich nach Kelsen für das natürliche und das positive<br />

Recht rekonstruieren lassen: Einerseits der Charakter der Setzung, andererseits der Umstand,<br />

dass die für solche Setzung beanspruchte Geltung als bloss bedingte daherkommt – bedingt<br />

durch die Voraussetzung der Grundnorm, die man voraussetzen kann, nicht aber voraussetzen<br />

muss. 205 Sie hat in diesem Sinn hypothetischen Charakter und wird ins Rechtsdenken<br />

eingeführt, wo der Wille besteht, das jeweilige Recht als ein gültiges zu begreifen. 206 Die<br />

Frage der Geltung gerät von hier zu einer Frage der Interpretation, die dem Hineinlesen näher<br />

scheint als dem Auslegen: Ein Rechtssystem als objektiv gültige normative Ordnung<br />

hinzunehmen, ist Resultat einer Deutung, die unter der Bedingung steht, dass eine Grundnorm<br />

vorausgesetzt wird, welche die Geltung enthält. 207<br />

Weder positive noch natürliche Normen<br />

vermögen von sich aus zu gelten, selbst wenn letztere diesem Glauben entspringen mögen.<br />

An diesem Punkt führt die Gemeinsamkeit allerdings in den wesentlichen Unterschied, der<br />

auch den Gegensatz des Rechtspositivismus Kelsens von der Hobbesschen Naturrechtslehre<br />

markiert. In deutlichster Weise wird er in den letzten Sätzen des Anhangs zur Reinen<br />

Rechtslehre vorgetragen:<br />

„Die Naturrechtslehre ist eine dualistische Rechtslehre; denn es gibt ihr zufolge neben dem<br />

positiven Recht ein Naturrecht. Die Reine Rechtslehre ist aber eine monistische Rechtslehre. Ihr<br />

zufolge gibt es nur ein Recht, das positive Recht. Die von der Reinen Rechtslehre festgestellte<br />

Grundnorm ist kein von dem positiven Recht verschiedenes Recht, sie ist nur sein<br />

Geltungsgrund, die transzendental-logische Bedingung seiner Geltung und hat als solche keinen<br />

ethisch-politischen, sondern einen erkenntnistheoretischen Charakter.“ 208<br />

Die hier explizierte Differenz liesse sich dahin zusammenfassen, dass positives wie<br />

natürliches Recht über einen überpositiven Geltungsgrund verfügen, dass dieser aber im Fall<br />

des Naturrechts nicht nur in einem Oberhalb, sondern auch in einem Jenseits der Positivität zu<br />

liegen kommt. Die Grundnorm des positiven Rechts steht inhaltlich leer und liefert dem,<br />

dessen Geltung es garantiert, kein Gegenüber; zum positiven Recht kann sie deshalb nicht in<br />

einen Widerspruch geraten, ihm hinsichtlich seines Inhalts aber auch keine Rechtfertigung<br />

Weil das Naturrecht hingegen dem positiven Recht ein inhaltliches Wertmass<br />

bieten. 209<br />

where it has been, its characteristic tenets have not been logically dependent on that belief.“ (Hart: The Concept<br />

of Law, S. 187.)<br />

205<br />

Vgl. dazu die Ausführungen zur Bedingtheit des Geltungsgrunds des positiven wie des natürlichen Rechts in<br />

Kelsen: Reine Rechtslehre, S. 224f. bzw. S. 227.<br />

206<br />

Vgl. ebd., S. 228, 404 und 443.<br />

207<br />

Dass Geltung von Deutung abhängt, findet sich bei Kelsen an zahlreichen prominenten Stellen; vgl. ebd., S.<br />

47, 48, 52f., 201, 203, 224, 227 und 443.<br />

208<br />

Ebd., S. 443f. Vgl. auch Beyer: Rechtsphilosophische Besinnung, S. 68, wo der Dualismus als Wesenszug des<br />

Naturrechts erscheint: „Naturrecht bedeutet Gegensatz; es setzt ein weiteres, nicht natürliches Recht voraus. Es<br />

müssen also zweierlei Rechte bestehen. Nur im Dualismus tritt das Wesen des Naturrechts hervor.“<br />

209<br />

Zur Unmöglichkeit des Widerspruchs zwischen einer positiven Rechtsordnung und seiner Grundnorm vgl.<br />

Kelsen: Reine Rechtslehre, S. 69-71, 223f. und 443.<br />

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