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Gesetz ohne Gott

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durch fremde Hände ortet. 65 Am deutlichsten tritt dies in De Cive hervor, wenn Hobbes den<br />

menschlichen Kampf um gemeinsam begehrte Güter beschreibt: „Bei so vielen Gefahren, die<br />

durch die natürliche Begierde der Menschen jeden einzelnen täglich bedrohen, kann man ihn<br />

nicht tadeln, wenn er sich dagegen zu schützen sucht, ja er kann gar nicht den Willen haben,<br />

anders zu handeln. Denn jeder verlangt das, was gut, und flieht das, was übel für ihn ist; vor<br />

allem flieht er das grösste der natürlichen Übel, den Tod; und zwar infolge einer natürlichen<br />

Notwendigkeit, nicht geringer als die, durch welche ein Stein zur Erde fällt.“ 66 Nicht die<br />

Soziabilität, wie es die aristotelische Tradition gewollt hatte, sondern die Todesfurcht<br />

bestimmt das Telos des Menschen. Wendet man das Faktum der Negation eines gewaltsamen<br />

Todes in sein Positives, findet sich darin der Verweis auf „den mächtigsten und<br />

grundlegendsten aller natürlichen Wünsche [...], nämlich den Urwunsch, den Wunsch nach<br />

Selbsterhaltung.“ 67 In diesem Trieb zur Selbsterhaltung findet das Hobbessche Naturgesetz<br />

seine Wurzel, weshalb nach Strauss „die moralische Grundtatsache keine Pflicht, sondern ein<br />

Recht“ darstellt. 68<br />

Wenn nun alle Pflichten dem fundamentalen und unveräusserlichen Recht<br />

auf Selbsterhaltung entspringen, wird eine absolute oder bedingungslose Pflicht undenkbar:<br />

„Nur das Recht auf Selbsterhaltung ist bedingungslos oder absolut. Von Natur aus gibt es nur<br />

ein vollkommenes Recht und keine vollkommene Pflicht. Das die natürlichen Pflichten des<br />

Menschen formulierende natürliche <strong>Gesetz</strong> ist, genau genommen, kein <strong>Gesetz</strong>. Da das<br />

fundamentale und absolute moralische Faktum ein Recht ist und kein <strong>Gesetz</strong>, müssen die<br />

Funktion wie auch die Grenzen der bürgerlichen Gesellschaft im Sinne des natürlichen Rechts<br />

der Menschen und nicht im Sinne seiner natürlichen Pflicht definiert werden.“ 69<br />

Angesichts der sorgfältigen Unterscheidung, die Hobbes zwischen Recht und <strong>Gesetz</strong> trifft,<br />

scheint die Interpretation von Leo Strauss, dass es sich beim natürlichen <strong>Gesetz</strong> nicht um ein<br />

<strong>Gesetz</strong> handelt, dem Leviathan mit einem Übermass an Gewalt zu begegnen. Zwar stellt<br />

Hobbes den <strong>Gesetz</strong>esbegriff nach der ausführlichen Explikation der Naturgesetze selbst in<br />

Frage, allerdings aus anderer Richtung. Die Zweifel an seiner Verwendung des<br />

<strong>Gesetz</strong>esbegriffs ergeben sich ihm aus der Kontrastierung von natürlichem und bürgerlichem<br />

<strong>Gesetz</strong>, die am Ende des 15. Kapitels besonders deutlich ausfällt: „Diese Weisungen der<br />

Vernunft werden von den Menschen gewöhnlich als <strong>Gesetz</strong>e bezeichnet, aber ungenau. Sie<br />

sind nämlich nur Schlüsse oder Lehrsätze, die das betreffen, was zur Erhaltung und<br />

Verteidigung der Menschen dient, während ein <strong>Gesetz</strong> genau genommen das Wort dessen ist,<br />

der rechtmässig Befehlsgewalt über andere innehat. Betrachten wir jedoch dieselben<br />

65<br />

Vgl. Strauss: Naturrecht und Geschichte, S. 187f.<br />

66<br />

Hobbes: Vom Menschen; Vom Bürger, S. 81. Vgl. dazu auch die Stellen zur Todesfurcht in ders.: Leviathan,<br />

1991, S. 76 und 98.<br />

67<br />

Strauss: Naturrecht und Geschichte, S. 187f.<br />

68<br />

Ebd., S. 188.<br />

69<br />

Ebd.<br />

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