Gesetz ohne Gott
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die Vorstellung, dass sich die Gesellschaft wie ein physikalischer Körper als Ganzes auf einer<br />
bestimmten Bahn und in eine bestimmte Richtung bewegen kann, ist nichts als ein<br />
verworrenes holistisches Hirngespinst.“ 415 Das Elend des Historizismus sieht Popper im<br />
„Elend der Phantasielosigkeit“, sich keinen Wandel in den Bedingungen des Wandels<br />
vorstellen zu können 416 , zugleich aber in der „historizistischen Hysterie“, die den historischen<br />
Wandel und hier insbesondere den Wandel der menschlichen Natur überschätzt 417 . Eine<br />
Anpassung an fremde Denkgewohnheiten und das Verstehen anderer Kulturen scheint ihm im<br />
Gegensatz zu Karl Mannheim, gegen den er sich an zahlreichen Stellen explizit wendet,<br />
durchaus möglich. 418 Denn in den meisten, wenn nicht in allen sozialen Situationen gebe es<br />
ein rationales Element, das den Menschen in seinen Aktionen und Interaktionen<br />
kennzeichne. 419 Freilich gibt Popper zum einen zu bedenken, dass „[d]er menschliche oder<br />
persönliche Faktor“ stets „das irrationale Element in den meisten oder vielleicht sogar in allen<br />
institutionellen Sozialtheorien sein“ wird, zum anderen räumt er ein, dass die menschliche<br />
Natur mit den sozialen Institutionen variiere, weshalb ihr Studium die Kenntnis dieser<br />
Institutionen voraussetze. 420<br />
Poppers Kritik an historizistischen Positionen, unter denen wir auch solche von Historisten<br />
finden, zielt gewiss nicht auf eine Rehabilitierung naturrechtlicher Vorstellungen. Dennoch<br />
scheint mir seine Relativierung des Relativismus unter gleichzeitiger Berücksichtigung<br />
individueller und sozialer Relationen den Weg aus gewissen Aporien des Naturrechts<br />
anzuzeigen. Dieser Weg liegt im Dreieck von menschlicher Vernunftnatur, sozialer Variation<br />
und rational nicht durchwegs einholbaren Andersheiten des Einzelnen, die Popper als<br />
menschlichen Faktor beschreibt und die ich unter den Begriff der Idiosynkrasie subsumieren<br />
werde.<br />
415 Ebd., S. 102.<br />
416 Vgl. ebd., S. 116.<br />
417 Vgl. ebd., S. 86 sowie S. 90f.<br />
418 Vgl. ebd., S. 85f.<br />
419 Vgl. ebd., S. 125f.<br />
420 Ebd., S. 141.<br />
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