Gesetz ohne Gott
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werden also die zivilisatorischen Errungenschaften der individuellen Freiheit und der staatlich<br />
geordneten (friedlichen) Gesellschaft als naturrechtliche Abweichungen vom Naturrecht, also<br />
paradox vorgestellt.“ 110<br />
Keine naturrechtliche Abweichung vom Naturrecht, sondern vielmehr eine naturgesetzliche<br />
Weichenstellung innerhalb des natürlichen Rechts bildet den Kern der Hobbesschen<br />
Konzeption. Luhmanns Rede von der Paradoxie trifft deshalb für den Fall Hobbes ins Leere<br />
und ist mit Vorteil durch diejenige von der Aufhebung zu ersetzen.<br />
Quentin Skinner bringt dagegen eine Deutung vor, die sich sowohl von derjenigen<br />
Luhmanns als auch von der hier bisher vorgetragenen unterscheidet. Er hält dafür, dass<br />
Hobbes, anders als häufig behauptet, der natürlichen Freiheit auch innerhalb des absoluten<br />
Staates eine ungebrochene Stellung einräume, was er über die Erläuterung des Hobbesschen<br />
Freiheitsbegriffs nachzuweisen sucht. Im Leviathan bedeute Freiheit nicht, sui iuris zu sein<br />
oder unabhängig vom Willen anderer zu leben, sondern schlicht, die eigenen Fähigkeiten<br />
einzusetzen, <strong>ohne</strong> durch ein äusseres Hindernis unmittelbar physisch blockiert zu werden:<br />
Auch unter einem absoluten Souverän „behalten wir unsere natürliche Freiheit als Ganzes<br />
<strong>ohne</strong> Abstriche.“ 111 Um seine Deutung zu stützen, zieht Skinner insbesondere das 21. Kapitel<br />
des Leviathan heran, wo Hobbes von der Freiheit der Untertanen handelt: „Freiheit bedeutet<br />
genau genommen das Fehlen von Widerstand, wobei ich unter Widerstand äussere<br />
Bewegungshindernisse verstehe.“ 112 Furcht vor Strafe mag zwar die Treue gegenüber den<br />
<strong>Gesetz</strong>en fördern, dennoch besteht immer die Freiheit, sie zu übertreten: „Furcht und Freiheit<br />
sind vereinbar.“ 113<br />
Nun räumt Skinner allerdings zugleich ein, dass die Menschen in ihrer Rolle als<br />
Untertanen keine Freiheit zum Ungehorsam gegenüber den <strong>Gesetz</strong>en beanspruchen können,<br />
114<br />
weil sie sich dem Souverän vertraglich unterworfen haben. Ebenso wenig unterschlägt er<br />
die zentrale Stelle im Leviathan, wo der Zweck des <strong>Gesetz</strong>eserlasses als Einschränkung der<br />
natürlichen Freiheit bestimmt wird. 115 Beides führt er in der Folge einer Relativierung zu,<br />
indem er erneut den Freiheitsvorrang bei Hobbes unterstreicht und nach wenigen Seiten zur<br />
Feststellung zurückgelangt, „dass wir unsere natürliche Freiheit, die <strong>Gesetz</strong>e nach unserer<br />
Wahl zu befolgen oder zu missachten, zu allen Zeiten behalten.“ 116<br />
Wenn Skinners<br />
Argumentation auch auf weite Strecken überzeugt, fällt doch ins Auge, dass er zwischen der<br />
110<br />
Niklas Luhmann: Das Recht der Gesellschaft, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1995, S. 514f.<br />
111<br />
Skinner: Freiheit und Pflicht, S. 115; dieses für den Leviathan charakteristische Freiheitsverständnis wird von<br />
Skinner in seinem 3. Kapitel wiederholt beschrieben; vgl. ebd., S. 81-120.<br />
112<br />
Hobbes: Leviathan, 1991, S. 163. Seinen Freiheitsbegriff definiert Hobbes auch zu Beginn des 14. Kapitels;<br />
vgl. ebd., S. 99.<br />
113<br />
Ebd. Vgl. dazu auch die Ausführungen bei Skinner: Freiheit und Pflicht, S. 103-106.<br />
114<br />
Vgl. ebd., S. 107.<br />
115<br />
Vgl. ebd., S. 107f. sowie Hobbes: Leviathan, 1991, S. 205f.<br />
116<br />
Skinner: Freiheit und Pflicht, S. 113.<br />
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