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Gesetz ohne Gott

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anlegt, liegen hier Geltungsgrund und Geltungsinhalt nicht getrennt vor und eben deshalb<br />

kann das Naturrecht als das gerechte Recht dem positiven gegenübertreten.<br />

Wollte man sich innerhalb von Kelsens Terminologie über ihn hinaus bewegen und nicht<br />

nur von „Wertmass“ sprechen, liesse sich formulieren, dass das Naturrecht mit dem Anspruch<br />

auftritt, die inhaltsleere Grundnorm der positiven Ordnung durch eine material gehaltvolle zu<br />

ersetzen. Denn das Naturrecht betrachtet eine positive Rechtsordnung nur als geltendes Recht,<br />

wenn ihr Inhalt mit den Normen des natürlichen Rechts übereinstimmt. Gerade weil ein<br />

solcher Rechtsdualismus Widerspruch prinzipiell möglich macht, kann exklusive<br />

Legitimation stattfinden und eben diese rechtfertigende Funktion ist es, die Kelsen dem<br />

Naturrecht als die ihm eigentlich wesentliche zuschreibt. 210 Wenn eine Naturrechtslehre<br />

dagegen die den Geltungsgrund des positiven Rechts darstellende normative Ordnung in einer<br />

Weise formuliert, dass ein Konflikt zwischen dieser und dem positiven Recht ausgeschlossen<br />

bleibt, indem sie den Gehorsam gegenüber jeder positiven Rechtsordnung vorschreibt, hebt<br />

sie sich als Naturrechtslehre auf, weil sie kein ethisch-politisches Wertmass und damit keine<br />

Möglichkeit einer inhaltlichen Rechtfertigung des positiven Rechts mehr bietet. 211<br />

Mit diesen Erläuterungen im Hintergrund wird deutlich, dass Kelsen auf den letzten Seiten<br />

des Anhangs zur Reinen Rechtslehre, an der einzigen Stelle, an der Hobbes Erwähnung findet,<br />

seiner Theorie den Status einer Naturrechtslehre implizit abspricht. Denn Kelsen zufolge kann<br />

es zu einem Konflikt zwischen positivem und natürlichem <strong>Gesetz</strong> bei Hobbes nicht kommen:<br />

„Jenes, so lehrt er [sc. Hobbes], kann niemals zur Vernunft und damit zum Naturrecht in<br />

Widerspruch geraten, denn Naturrecht und positives Recht stehen zueinander in Korrelation.<br />

Das Naturrecht enthält das positive Recht und das positive Recht ist Teil des Naturrechts.<br />

212<br />

Gehorsam gegenüber dem positiven Recht ist eine Forderung des Naturrechts.“ Innerhalb<br />

von Kelsens Theorie kann Hobbes weder dem Positivismus noch dem Naturrecht<br />

zugeschlagen werden. Auf der einen Seite lässt das von Hobbes vertretene dualistische<br />

Modell nicht zu, ihn Kelsens Positivismusverständnis zuzuordnen, doch fehlt nach Kelsen<br />

zugleich die für das Naturrecht zentrale Funktion eines inhaltlichen Wertmasses. Hinsichtlich<br />

dieser zweiten Behauptung gilt es allerdings eine Korrektur an Kelsens Interpretation<br />

vorzunehmen. Zwar hat er das Faktum der Verschränkung von natürlichem und positivem<br />

<strong>Gesetz</strong> bei Hobbes richtig gesehen, die Art dieser Verschränkung aber ist ihm entgangen.<br />

Sicher bildet Gehorsam gegenüber dem Positiven eine Forderung des natürlichen <strong>Gesetz</strong>es,<br />

210 Vgl. ebd., S. 225f. Dass die meisten Naturrechtslehren dem Zweck dienten, bestehende Rechtsordnungen zu<br />

legitimieren, dass sie – anders als es bei Max Weber anklingt – zumeist konservierend, kaum je reformatorisch<br />

oder gar revolutionär wirkten, betont Kelsen in seinem Anhang zum Problem der Gerechtigkeit mehrfach und<br />

nachdrücklich; vgl. ebd., S. 435, 437, 438 und 440f.<br />

211 Vgl. ebd., S. 225f.<br />

212 Ebd., S. 439.<br />

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