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Gesetz ohne Gott

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Billigkeit irren könnte“. 143 Diesem Kriterium der Billigkeit untersteht der Souverän und mit<br />

ihm das gesamte bürgerliche <strong>Gesetz</strong>eswesen, das seinem Handeln entspringt. Indem der<br />

Souverän vertraglich von allen Untertanen zu jeder beliebigen Handlung autorisiert wurde,<br />

steht Ungerechtigkeit als „die Nichterfüllung eines Vertrages“ 144 zwar ausserhalb seiner<br />

Möglichkeit, eines Verstosses gegen die Billigkeit kann er sich hingegen jederzeit schuldig<br />

machen: „Es ist richtig, dass die Inhaber souveräner Gewalt unbillige Handlungen begehen<br />

können, nicht aber Ungerechtigkeit oder Unrecht im eigentlichen Sinn.“ 145<br />

Eine Unterordnung des bürgerlichen unter das natürliche <strong>Gesetz</strong> besteht deshalb, weil die<br />

souveräne <strong>Gesetz</strong>estätigkeit der Billigkeit untersteht, Billigkeit aber dem natürlichen <strong>Gesetz</strong><br />

zugehört: Der Billigkeit bleibt ein Souverän ebenso unterworfen „wie einer der Geringsten<br />

146<br />

aus seinem Volk, da sie eine Vorschrift des natürlichen <strong>Gesetz</strong>es ist.“ Als elftes der<br />

sechzehn konkret formulierten natürlichen <strong>Gesetz</strong>e meint Billigkeit eine richterliche<br />

Gleichbehandlung streitender Parteien im Sinne der „Beachtung des <strong>Gesetz</strong>es von der<br />

gleichmässigen Verteilung dessen, was jedermann vernünftigerweise zusteht“. 147 Sie wird,<br />

wie Hobbes bemerkt, „ungenau“ auch als austeilende Gerechtigkeit bezeichnet, weil sie im<br />

Akt des Schiedsrichters besteht, das Gerechte zu definieren und zuzuteilen. 148 Ein „richtiges<br />

Verständnis des grundlegenden <strong>Gesetz</strong>es der Natur, das man Billigkeit nennt“, führt Hobbes<br />

als erste der Eigenschaften an, über die ein guter <strong>Gesetz</strong>esinterpret verfügen sollte. 149 Jeder<br />

Richter ist angehalten, „aus den Grundsätzen seiner eigenen natürlichen Vernunft zu<br />

erforschen, was in dem Fall, über den er zu urteilen hat, Billigkeit ist.“ 150<br />

Dass dabei nicht nur<br />

der Sachverhalt und die Vernunft, sondern auch geschriebene <strong>Gesetz</strong>e heranzuziehen sind,<br />

steht dieser Forderung keineswegs entgegen. Indem an ihnen der buchstäbliche Wortlaut vom<br />

gemeinten Sinn unterschieden wird, bilden die bürgerlichen <strong>Gesetz</strong>e den eigentlichen<br />

143<br />

Ebd., S. 212.<br />

144<br />

Zur Definition von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit als Erfüllung bzw. Nichterfüllung eines Vertrags vgl.<br />

ebd., S. 110.<br />

145<br />

Ebd., S. 139.<br />

146<br />

Ebd., S. 262.<br />

147<br />

Ebd., S. 119; vgl. auch ebd., S. 115f., wo Hobbes Billigkeit als richterliches Verhalten bestimmt, jedem das<br />

Seine zuzuteilen. Es mag verwirrend anmuten, dass Hobbes auch die Vertragsgerechtigkeit anhand der Digesten-<br />

Formel „Justitia est constans et perpetua voluntas jus suum cuique tribuendi“ erläutert (vgl. ebd., S. 110 sowie<br />

ebd., S. 205). Doch wird in diesem Fall das Seine als ein Eigenes im Sinne von Eigentum verstanden, das erst<br />

mit dem über Vertragseinhaltung wachenden Staat entstehen kann. Soll die Struktur der Hobbesschen<br />

Naturgesetze nicht voreilig zum Einsturz gebracht werden, gilt es dieses staatlich gesicherte materielle Eigene<br />

von der ideellen Urteilsfähigkeit des Richters, und damit Vertragsgerechtigkeit von Billigkeit, zu trennen.<br />

148<br />

Vgl. ebd., S. 115f. Die Bezeichnung „ausgleichende Gerechtigkeit“ lehnt Hobbes in diesem Zusammenhang<br />

zum einen deshalb als ungenau ab, weil er die auf Aristoteles zurückgehende Unterscheidung zwischen<br />

ausgleichender und austeilender Gerechtigkeit für unglücklich hält, zum anderen wohl aber auch deswegen, weil<br />

Gerechtigkeit nach dem dritten natürlichen <strong>Gesetz</strong> die Einhaltung abgeschlossener Verträge meint, womit das<br />

Phänomen der Billigkeit, wie Hobbes es versteht, gerade nicht getroffen ist.<br />

149<br />

Ebd., S. 216. Die englische Formulierung lautet „A right understanding of that principall Law of Nature<br />

called Equity“; vgl. ders.: Leviathan, 1943, S. 217. Die lateinische Fassung setzt entsprechend jeweils aequitas.<br />

150<br />

Hobbes: Leviathan, 1991, S. 213.<br />

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