Gesetz ohne Gott
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5. Anthropologie, Geschichte und Naturrecht<br />
5.1 Die menschliche Natur zwischen Individuum und Gesellschaft<br />
Die Frage nach dem Anfang bis zum Ende durchzuhalten, gehört zur Aufgabe dessen, der sich<br />
mit dem Naturrecht befasst. Dass die naturrechtliche Methode immer eine sein muss, die sich<br />
nicht mit Nachträglichkeiten auseinandersetzt, sondern auf den Grund der Sache geht, wird<br />
bei Ernst Cassirer deutlich, der am Anfang dieser Arbeit stand:<br />
„Die Frage, die sich das Naturrecht stellte, [...] war eine echte Ursprungsfrage. Es handelte sich<br />
darum, das Quellgebiet aufzugraben, aus dem die positiven Rechtssätze letztlich entspringen,<br />
und von dem sie ständig neuen Zustrom erhalten. Dieses Gebiet – das ist die Grundthese des<br />
Naturrechts – liegt nicht ausserhalb, sondern innerhalb der menschlichen Vernunft; es ist nicht<br />
in Überlieferung oder Offenbarung, in irgendeinem autorativen [sic] Befehl zu suchen, der von<br />
aussen an den Menschen herantritt, sondern es ist eine eigentümliche und urtümliche Weise, ein<br />
Modus der menschlichen Geistigkeit selbst, der sich in der Idee des Rechts darstellt.“ 336<br />
Einen anderen Weg als den naturrechtlichen hin zum Anfang im Menschen lässt die<br />
Problematik des Naturrechts nach Cassirer nicht zu: „Mag das Naturrecht die Fragen, die es<br />
sich stellte, nicht bewältigt haben, mag es sie vielfach mit unzureichenden Mitteln in Angriff<br />
genommen haben: das eine wird man sagen dürfen, dass diese Fragen, falls sie überhaupt<br />
einmal ihrer Lösung entgegengeführt werden sollen, nur im Geiste des Naturrechts werden<br />
gelöst werden können [...].“ 337<br />
Ein solcher Rückgang ad fontes soll hier versucht werden. Dabei richtet sich der Fokus<br />
erneut auf den naturrechtlichen Ansatz des Thomas Hobbes, wobei das Quellgebiet der Natur<br />
des Menschen und ihrer Vernünftigkeit detailliert in den Blick zu nehmen ist. Dies mag<br />
Misstrauen erwecken, zielte doch das bisherige Unternehmen nicht zuletzt darauf, angebliche<br />
Quellgebiete des positiven Rechts als Orte von Täuschungen auszuweisen – von<br />
Täuschungen, die nach Luhmann einer eindringlichen Nachfrage nicht standhalten können:<br />
„Die Metapher der Quelle suggeriert jedoch einen Bruch mit dem ‚Woraus’, aus dem die<br />
Quelle entspringt. Sie funktioniert nur, wenn man nicht fragt, was vor der Quelle liegt und<br />
was die Differenz zwischen Vor-der-Quelle und Nach-der-Quelle erzeugt. Auf Dauer wird<br />
338<br />
dieser Trick kaum befriedigen, aber für eine Übergangszeit tut er seine Dienste.“ Vom<br />
Trick nicht befriedigt, wurde anhand von Derrida gezeigt, dass vor der Quelle eine<br />
entscheidende Hand im Spiel war, die das Recht setzte. Eine allgemeine Formel für solches<br />
dekonstruierendes Vorgehen hat Bruno Latour gefunden; wenn er dabei auch nicht Luhmann<br />
im Blick hatte, lässt sich ein Bezug doch leicht herstellen: „Der Trick, den Trick aufzudecken,<br />
besteht immer darin, den ordinären Ursprung des Werks aufzuzeigen, den hinter den Kulissen<br />
336<br />
Cassirer: „Vom Wesen und Werden des Naturrechts“, S. 5.<br />
337<br />
Ebd., S. 21.<br />
338<br />
Luhmann: Das Recht der Gesellschaft, S. 524.<br />
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