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Gesetz ohne Gott

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6. Schluss<br />

Die Ergebnisse dieser Arbeit möchte ich an die Formulierung der Ausgangsfrage<br />

anschliessen: Die Ambivalenz, mit der das moderne Naturrecht umzugehen hat, habe ich im<br />

Hinblick auf die Naturrechtstheorie Thomas Hobbes’ als eine doppelte herausgestellt; an jede<br />

der beiden Konstituenten des Kompositums Natur-Recht knüpft sie in eigener Weise an.<br />

Was den Rechtscharakter betrifft, so bildet die Ambivalenz ein Erbe aus der Zeit des<br />

göttlich begründeten Naturrechts. Um Geltung als Recht beanspruchen zu können, ist<br />

Positivität und die daran anschliessende Möglichkeit der Durchsetzung erforderlich. Denn<br />

Recht <strong>ohne</strong> jede Wirksamkeit lässt sich nicht denken, ist nicht Rechtsgebot, sondern blosses<br />

Postulat. Auf der anderen Seite wurde im Anschluss an Jacques Derrida deutlich, dass<br />

Setzung allein für Rechtsgeltung ihrerseits nicht hinreicht. Denn wird auf dem Boden von<br />

Unentscheidbarkeit, aus dem von Schmitt beschriebenen normativen Nichts, eine<br />

Entscheidung gefällt, welche Ordnung und Recht begründen soll, lässt sich Recht von Gewalt<br />

nicht unterscheiden. Recht muss Gewalt bleiben und wird das Prädikat „Recht“ bloss zum<br />

Schein tragen. Auch die von Vertretern der Systemtheorie unternommenen Versuche, die<br />

Gewalt am Grund des Rechts über Verfahren zu relativieren, können erst im Nachhinein und<br />

also zu spät ansetzen. Zwar erhalten die gefällten Rechtsentscheidungen im Verfahren eine<br />

Begründung, die den gesellschaftlichen Umständen und ihren normativen Vorgaben<br />

Rechnung trägt; auch wird allen Betroffenen die Möglichkeit von Argumentation und<br />

diskursiver Beteiligung gewährt. Doch das Problem des Anfangs bleibt am Schluss ungelöst.<br />

Die Ambivalenz einer Antwort auf die Frage nach der Geltung von Recht wird deshalb stets<br />

darin bestehen, dass Positivität einerseits gerade in ihrer bloss formalen Funktion notwendig<br />

ist, blosse Formalität aber andererseits eine materiale Leerstelle am Grund des Rechts<br />

bedeutet, dem das Naturrecht mit seinen inhaltlichen Ansprüchen zu begegnen sucht.<br />

In diesen inhaltlichen Ansprüchen hat die zweite Erscheinungsform der Ambivalenz ihren<br />

Sitz. Sie tritt zu Beginn des modernen Naturrechts nach dem Ausschluss <strong>Gott</strong>es aus der<br />

Begründung des Rechts hervor und betrifft das Moment der menschlichen Natur. Im Rekurs<br />

auf diese Natur sollte die „zunächst entmutigende Erfahrung von der letztlichen<br />

Unentscheidbarkeit aller Rechtsprobleme“ 432<br />

zuletzt doch einer begründeten Entscheidung<br />

zugeführt werden. Dieser Rekurs, der die Ambivalenz in der Frage nach der Rechtsgeltung<br />

klären sollte, bringt allerdings eine erneute Ambivalenz zutage, die darin gründet, dass die<br />

Beschreibung einer allgemeinmenschlichen Natur sich nicht auf die in jedem Einzelnen in<br />

allgemeiner Weise vorliegende Vernunft beschränken kann, vielmehr auch Besonderheiten in<br />

432 Benjamin: „Zur Kritik der Gewalt“, S. 196.<br />

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