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Gesetz ohne Gott

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schmalen Steg zwischen der Untiefe der Empirie und dem Abgrund der Metaphysik.“ 244<br />

Die<br />

Beschreibung des Rechts unter Reinigung von allem Ausserrechtlichen gibt sich empirisch,<br />

die vorausgesetzte Grundnorm hingegen greift tief in den Bereich der Metaphysik. Indem eine<br />

Auseinandersetzung mit Schmitt die Grundnorm ins Licht von fassbarer Autorität und letzter<br />

Entscheidung rückt, wird der metaphysische Schleier etwas gelüftet und die verdeckte Stelle<br />

sichtbar, an der das Pendel zur Empirie hin ausschlägt. Die vorausgesetzte Grundnorm wird<br />

von Kelsen als Ergebnis relativer Deutung vorgeführt; gibt man dieser Deutung ein Gesicht,<br />

so trägt es die Züge willkürlicher Dezision. Vor dem Hintergrund solcher Einsicht fällt<br />

allerdings auch der Versuch, innerhalb der Rechtslehre eine äussere Legitimationsquelle zu<br />

konstruieren, dahin.<br />

Diese interne Kritik am Theoriegefüge Kelsens wurde hier ausgehend von Schmitts<br />

Dezisionismus als Weiterführung seines Zweifels an der Überpositivität formuliert. Der für<br />

Schmitt zentrale Einwand nimmt hingegen den Weg einer externen Kritik. Gefragt wird hier<br />

weniger nach dem theoretischen Argumentationsgang als vielmehr nach dem Passverhältnis<br />

von beschreibender Theorie und beschriebener Wirklichkeit. Die Norm taugt nach Schmitt<br />

nicht als Ausgangspunkt allen Rechts, weil sie Geltung nur behaupten kann, wo ihr eine<br />

normale Situation zugrunde liegt: „Es gibt keine Norm, die auf ein Chaos anwendbar wäre.<br />

Die Ordnung muss hergestellt sein, damit die Rechtsordnung einen Sinn hat. Es muss eine<br />

normale Situation geschaffen werden, und souverän ist derjenige, der definitiv darüber<br />

245<br />

entscheidet, ob dieser normale Zustand wirklich herrscht.“ Wer den Entscheid über die<br />

Ordnung fällt, verfügt über die Norm und so könnte die Hierarchie in der von Schmitt<br />

beobachteten Rechtswirklichkeit deutlicher nicht sein: Dezision einer souveränen Autorität,<br />

Ordnung, Norm.<br />

Die interne und die externe Kritik – erstere von Schmitt aus, letztere von Schmitt selbst<br />

formuliert – gehen aufs Selbe: Am Ende steht nicht die Norm, sondern die Entscheidung und<br />

mit ihr die Autorität, die sie fällt. Dem grundnormgestützten Versuch der<br />

Objektivitätssuggestion wird in beiden Fällen mit dem Verweis auf eine notwendige Autorität<br />

widersprochen. Den Mangel an Kelsens Theorie formuliert Schmitt <strong>ohne</strong> Schonung: „Die<br />

Objektivität, die er [sc. Kelsen] für sich beansprucht, erschöpft sich darin, dass er alles<br />

Personalistische vermeidet und die Rechtsordnung auf das unpersönliche Gelten einer<br />

246<br />

unpersönlichen Norm zurückführt.“ Im direkten Gegenzug sucht Schmitt die sich autoritär<br />

durchsetzende Dezision als das grundlegende Moment zu bestimmen, das nicht im Davor<br />

244<br />

Fögen: Das Lied vom <strong>Gesetz</strong>, S. 89.<br />

245<br />

Schmitt: Politische Theologie, S. 20.<br />

246<br />

Ebd., S. 39f.<br />

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