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Gesetz ohne Gott

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veritas facit legem“ aus diesem relativierenden Kontext heraus und lässt jedes Recht im<br />

souveränen Befehl aufgehen. 258<br />

Wolfgang Kerstings Formulierung, Carl Schmitt sei „ein Hobbesianer reinsten Wassers“,<br />

259<br />

scheint mir nicht glücklich gewählt. Wollte man im Bild bleiben, liesse sich vielleicht eher<br />

sagen: ein Destillat. Wenn Kersting schreibt, Schmitt habe den Dezisionismus der<br />

Hobbesschen Philosophie entnommen, ist relativierend einzuwenden, dass er von Hobbes<br />

zwar Elemente seiner dezisionistischen Theorie bezieht, sie aber in selbständiger<br />

Radikalisierung und deutlicher Abweichung entwickelt. 260<br />

Summierend kann festgehalten<br />

werden, dass die dezisionistische Wendung, die Schmitt bei Hobbes herausstreicht, dort<br />

keineswegs in dem ungebrochenen Sinne vorliegt, auf den es Schmitt ankommt; vielmehr ist<br />

er es selbst, der dem Leviathan in einer aktiven Deutung diese Wendung gibt, um aus ihr den<br />

absolutistischen Schwung für seine eigene Theorie der Entscheidung zu nehmen.<br />

Nichtsdestoweniger sind die sich aus dem Dezisionismus Schmitts ergebenden<br />

Kritikpunkte am Kelsenschen Positivismus triftig. Sie zeigen, dass dessen Anspruch eines<br />

reinen Normativismus nicht einzulösen ist, da die Grundierung immer eine dezisionistische<br />

bleibt. Doch ist es gerade die kritische Distanznahme, welche die Nähe von Schmitt und<br />

Kelsen erweist. Pointiert liesse sich dieser Umstand dahin formulieren, dass, was bei Kelsen<br />

implizit vorliegt, von Schmitt aufgedeckt und expliziert wird: Die Entscheidung als<br />

unvermeidliches Substrat des Rechts. Dieses Substrat hat freilich seinerseits einen Grund, ist<br />

nicht erstes ὑποκείμενον, sondern fusst auf einer Annahme, die von Kelsen und Schmitt<br />

gleichermassen geteilt wird und durch die sie – ersterer ungewollt und vielleicht nicht<br />

vollends bewusst, letzterer gewollt und bewusst – den Armen des Dezisionismus zugeführt<br />

werden. Beide gehen sie davon aus, dass immer geltende Grundsätze, aus denen Recht sich<br />

speisen könnte, nicht auffindbar sind, dass Recht sich deshalb aus einer inhaltlichen<br />

Indifferenz schöpft oder vielmehr, und hier liegt der Dezisionismus, nicht sich schöpft,<br />

sondern von aussen geschöpft wird, wobei Schöpfung nichts anderes als Entscheidung,<br />

Schöpfer nichts anderes als souveräne Autorität bedeuten kann. „Die Entscheidung ist,<br />

261<br />

normativ betrachtet, aus einem Nichts geboren.“ Diesen Satz Schmitts gilt es wörtlich zu<br />

verstehen und damit etwas wörtlicher, als er intendiert ist: Die Dezision gelangt durch Geburt<br />

ins Leben, hat im normativen Vakuum ihren Muttergrund, damit aber Wurzeln in einem<br />

Vorgängigen. Denn tatsächlich ist die Entscheidung nicht ursprünglich, nicht erste Aktion,<br />

sondern Reaktion auf einen normativen Nullpunkt: creatio ex nihilo gewiss; vor allem aber<br />

258<br />

Vgl. Schmitt: Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes, S. 82 sowie Hobbes: Leviathan, 1991, S.<br />

203-222.<br />

259<br />

Vgl. Kersting: Thomas Hobbes zur Einführung, S. 206.<br />

260<br />

Vgl. ebd., S. 207.<br />

261<br />

Schmitt: Politische Theologie, S. 42.<br />

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