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Gesetz ohne Gott

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sich letztlich auch in diesem Fall zeigen muss. 296 Zunächst scheint es auf in den<br />

gegenwärtigen Begriffen des Rechts, die als säkularisierte theologische Begriffe den<br />

mystischen Grund bilden, der von keiner Rechtstheorie einzuholen ist. 297<br />

Deutlich hörbar<br />

wird das Schweigen, wo solche Einholung dennoch versucht wird, wo man mit der Frage<br />

nach der Begründung eines gegenwärtigen gesetzten Rechts an dessen historischen Anfang<br />

gelangt und eine Antwort nicht findet; nicht finden kann, weil das Problem schon im Anfang<br />

aufgeschoben wurde und in allem, was sich auf diesen Anfang bezieht, aufgeschoben bleibt.<br />

Der nachwirkende Aufschub des Problems kam dadurch ins Rollen, dass das Problem, das<br />

keinen Aufschub duldet, <strong>ohne</strong> Grundlage gelöst wurde und so keine eigentliche Lösung<br />

erfuhr: Als sich das Problem der Gerechtigkeit im Augenblick der Einrichtung des Rechts, der<br />

vorzugsweise mit der Gründung des Staates zusammenfällt, gestellt hatte, „wird es gewaltsam<br />

gelöst worden sein, also begraben, verborgen, verdrängt.“<br />

Die Verdrängungs- und Verbergungsprozesse suchen an die Stelle zu rücken, an der echte<br />

Lösung ihren Sitz haben müsste, an ein Ausserhalb des Rechts, in welches das Recht seinen<br />

Anker wirft. Denn eben darin besteht die Funktionsweise der Legitimation, dass etwas von<br />

einem anderen her seine Begründung empfängt. Ein solcher externer Fixpunkt hatte sich<br />

lange Zeit in <strong>Gott</strong> finden lassen und an eben diese Stelle traten nach seinem Ausschluss aus<br />

der rechtsbegründenden Argumentation auch seine säkularen Surrogate. Angesichts der<br />

Funktionsäquivalenz stellt sich die Frage, wie viel Säkularität die Säkularisate zu behaupten<br />

vermögen. Zu Recht hat Marie Theres Fögen die <strong>Gott</strong>ähnlichkeit von Kelsens Grundnorm<br />

betont, die ausserhalb des positiven Rechts zu liegen kommt:<br />

„Diese Figur ist „vorausgesetzt“, nicht abgeleitet – so wie die causa prima namens <strong>Gott</strong>. Sie ist<br />

inhaltsleer, <strong>ohne</strong> Eigenschaften – so wenig wie es erlaubt ist oder je gelungen wäre, <strong>Gott</strong><br />

Attribute zuzuschreiben. Fragen nach dem Geltungsgrund der Grundnorm sind nicht zulässig<br />

und nicht zweckmässig – gescheitert sind auch alle <strong>Gott</strong>esbeweise. Unsichtbar, „hypothetisch“,<br />

der Diskussion entzogen bleibt die Grundnorm – wie die Inkommunikabilität <strong>Gott</strong>es.“ 299<br />

296 Vgl. Ludwig Wittgenstein: Tractatus logico-philosophicus, in: ders.: Werkausgabe, Bd. 1, Frankfurt a.M.:<br />

Suhrkamp 2006, S. 7-85, 85: „Es gibt allerdings Unaussprechliches. Dies zeigt sich, es ist das Mystische. [...]<br />

Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“<br />

297 Vgl. Schmitt: Politische Theologie, S. 49: „Alle prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre sind<br />

säkularisierte theologische Begriffe.“ Dass Derrida diese Behauptung teilt und sich stellenweise als Schmittianer<br />

zu erkennen gibt, wird dargelegt bei Rudolf Maresch: „GespensterVerkehr. Derrida liest Benjamins ‚Zur Kritik<br />

der Gewalt’“, http://www.rudolf-maresch.de/texte/6.pdf (letzter Zugriff: 27.02.2010), S. 6. Mareschs Nachweis<br />

stützt sich allerdings nicht auf <strong>Gesetz</strong>eskraft, sondern auf eine Auseinandersetzung mit Schmitt in Jacques<br />

Derrida: „Den Tod geben“, aus dem Französischen von Hans-Dieter Gondek, in: Anselm Haverkamp (Hg.):<br />

Gewalt und Gerechtigkeit. Derrida – Benjamin, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1994, S. 331-445, 429.<br />

298 Derrida: <strong>Gesetz</strong>eskraft, S. 48. Zum Verhältnis von Staatsgründung und Begründung des Rechts vgl. ebd., S.<br />

77: „Die Staatsgründung markiert das Aufkommen eines neuen Rechts, sie tut es immer unter Anwendung von<br />

Gewalt.“<br />

299 Fögen: Das Lied vom <strong>Gesetz</strong>, S. 91f.<br />

298<br />

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