Gesetz ohne Gott
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Entscheidung so und nicht anders ausfiel. 272 Weil aber zur Mitteilung der Entscheidung die<br />
Botschaft gehört, dass auch anders hätte entschieden werden können, reicht eine die<br />
Entscheidung supplementierende Begründung nicht aus. Fischer-Lescano und Christensen<br />
heben deshalb die Bedeutung des Verfahrens hervor, das die Streitparteien in das<br />
Rechtsgeschehen einbezieht und ihnen über das Instrument der Argumentation die<br />
Möglichkeit bietet, auf die Entscheidung einzuwirken. 273 Begründung, Verfahren und<br />
Argumentation kommen hier als Weg in den Blick, „den gewaltsamen Charakter der<br />
Entscheidung“ zu relativieren. 274 Gewiss ist Schmitt an solcher Relativierung wenig gelegen<br />
und wenig liegt ihm daran, dies zu verbergen. In Der Hüter der Verfassung bemerkt er zur<br />
Beweisführung von Gerichtsentscheidungen, der Sinn sei „nicht überwältigende<br />
Argumentation, sondern eben Entscheidung durch autoritäre Beseitigung des Zweifels.“ 275<br />
Die von Fischer-Lescano und Christensen unternommene Kontrastierung von Schmitt und<br />
Luhmann hat viel Triftiges, nicht zuletzt da sich Luhmann selbst hinsichtlich seiner<br />
Engführung von Positivismus und Entscheidung bemüht, den „Vorwurf des ‚Dezisionismus’<br />
im Sinne einer willkürlichen, nur von Durchsetzungsmacht abhängigen<br />
276<br />
Entscheidungsmöglichkeit“ abzuweisen. Dies dadurch, dass er der Gefahr der Beliebigkeit,<br />
die ich als Urgrund der Dezision bestimmt habe, deutliche Schranken setzt, womit er zugleich<br />
naturrechtliche Einwände zu entkräften sucht:<br />
„Im Kontext der naturrechtlichen Tradition war zwar positives Recht als ‚arbiträr’ bezeichnet<br />
worden; aber diese Kennzeichnung ist zu lesen vor dem Hintergrund der Leitunterscheidung<br />
von unveränderlichem und veränderlichem Recht. Wenn veränderliches Recht als ‚arbiträr’<br />
bezeichnet wird, heisst dies also nur: dass es sich nicht aus dem unveränderlichen (göttlichen,<br />
natürlichen) Recht ableiten lässt, sondern den Zeitumständen oder Situationen angepasst werden<br />
muss; und gerade diese Begründung schliesst aus, dass es jemals beliebig zugehen könnte.“ 277<br />
Ebenso betonen Fischer-Lescano und Christensen im Hinblick auf das mögliche Anderssein<br />
der Entscheidung, dass ihre Lage hoffnungslos nur bliebe, „wenn man sie aus der Zeit nimmt,<br />
wenn man sie nur für sich nimmt, anstatt sie in der Zeit und damit als kontingent zu sich<br />
kommen zu lassen.“ 278<br />
Auf diese Weise würde die Entscheidung den Betroffenen nicht aus<br />
normativem Nichts zugeschoben, sondern durch Argumentationsmöglichkeit und<br />
272<br />
Vgl. Luhmann: Organisation und Entscheidung, S. 141f. Zur Bestimmung von sozialen Operationen als<br />
„Kommunikationen“ vgl. ders.: Das Recht der Gesellschaft, S. 40f.<br />
273<br />
Vgl. Fischer-Lescano/Christensen: „Auctoritatis interpositio“, S. 240.<br />
274<br />
Ebd., S. 232.<br />
275<br />
Carl Schmitt: Der Hüter der Verfassung (Beiträge zum öffentlichen Recht der Gegenwart, Bd. 1), Tübingen:<br />
J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1931, S. 46.<br />
276<br />
Luhmann: Das Recht der Gesellschaft, S. 38f. Dass Geltung nach Luhmann nicht schlicht auf<br />
Durchsetzbarkeit beruht, wird deutlich auch ebd., S. 524.<br />
277<br />
Ebd., S. 39.<br />
278<br />
Fischer-Lescano/Christensen: „Auctoritatis interpositio“, S. 223.<br />
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