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Gesetz ohne Gott

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Unberührt bleibt die Geltung ebenso von in anderen Normsystemen generierten Werten,<br />

anhand derer geurteilt wird, wie etwas, was ist, zu werten ist. Weil in Kelsens<br />

wissenschaftlicher Wertlehre die Normen, welche die Grundlage der Werturteile bilden, durch<br />

menschliche, nicht übermenschliche Willensakte gesetzt sind, werden allein willkürliche und<br />

somit relative Werte konstituiert, weshalb sich eine Norm nicht weniger als die ihr inhaltlich<br />

entgegengesetzte eignet, als objektiv gültige gedeutet zu werden. 214 Was exklusive Gültigkeit<br />

herstellt, <strong>ohne</strong> inhaltliche Beliebigkeit auszuschliessen, ist wiederum die bloss vorausgesetzte,<br />

nicht in einem inhaltlichen Prinzip fundierte Grundnorm, dergemäss eine Norm erzeugt sein<br />

muss, wenn sie innerhalb des betreffenden Normsystems als gültig in Betracht kommen<br />

soll. 215 „Keiner positiven Rechtsordnung kann wegen des Inhalts ihrer Normen die Geltung<br />

abgesprochen werden. Das ist ein wesentliches Element des Rechtspositivismus; und gerade<br />

in ihrer Theorie der Grundnorm erweist sich die Reine Rechtslehre als positivistische<br />

Rechtslehre.“ 216<br />

Zusammenfassend lässt sich formulieren, dass Kelsen positive Geltung über das Moment<br />

der Isolation des Normsystems zu sichern sucht, indem die Grundnorm einerseits vor und<br />

neben jedem tatsächlichen Verhalten wie auch unabhängig von jeder inhaltlichen Wertung<br />

eines anderen Normsystems vorauszusetzen ist.<br />

Das leitende Positivismusverständnis Carl Schmitts ist ein anderes – „etwas gilt, wenn es<br />

gilt und weil es gilt. Das ist ‚Positivismus’.“ 217 Was hier als positive Geltung in den Blick<br />

kommt, ist keine Sache der Ansehung. Nicht ob eine Norm als objektiv gültig gedeutet wird,<br />

entscheidet über Geltung, sondern allein die Frage nach ihrer Durchsetzbarkeit, d.h. nach der<br />

Chance, tatsächliches Verhalten zu beeinflussen: „Das ‚positive’ Gelten des <strong>Gesetz</strong>es ist zum<br />

Unterschied von anderen Geltungsarten notwendig immer etwas Tatsächliches, durch<br />

menschliche Macht unmittelbar faktisch Erzwingbares.“ 218<br />

Dies ist die grundlegendste Bestimmung des Positivismusbegriffs bei Schmitt. Von hier<br />

wird der Begriff allerdings in zwei Richtungen gewendet, deren unscharfe Trennung zu<br />

Verwirrung führen kann und deren nachträgliche Trennung allein ein volles Verständnis der<br />

Kritik an Kelsen eröffnet. Auf die Wendung, die der Begriff nimmt, gilt es Acht zu geben.<br />

Denn nicht handelt es sich um eine klassische Unterscheidung, bei der einem statischen<br />

Oberbegriff zwei Unterbegriffe subsumiert werden. Vielmehr liegt Dynamik vor, indem die<br />

Abstraktheit der Grundlage verworfen wird und sich in der Bewegung die spezifische<br />

214 Vgl. ebd., S. 18.<br />

215 Vgl. ebd., S. 200f.<br />

216 Ebd., S. 224.<br />

217 Carl Schmitt: Verfassungslehre, München/Leipzig: Duncker & Humblot 1928, S. 9.<br />

218 Ders.: Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens, S. 30.<br />

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