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Gesetz ohne Gott

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letzteren dennoch. Bei Hobbes lässt sie sich dort ablesen, wo er trotz offenkundiger Wahrheit<br />

der natürlichen <strong>Gesetz</strong>e an der Notwendigkeit eines inappellablen, inhaltlich nicht<br />

gebundenen und insofern absoluten souveränen Interpretations- und Legislationsentscheids<br />

festhält, gestützt auf die Begründung, dass das Naturgesetz, obwohl vernünftig einsehbar, sich<br />

der Einsicht dennoch versperrt. Zwar sei es dem, der sich <strong>ohne</strong> Parteilichkeit und<br />

Leidenschaft seiner natürlichen Vernunft bedient, leicht zugänglich, weil es aber kaum und<br />

„vielleicht auch keine“ Menschen gibt, die nicht zuweilen durch Selbstliebe oder andere<br />

Leidenschaften geblendet würden, sei das <strong>Gesetz</strong> der Natur „nunmehr zum dunkelsten aller<br />

<strong>Gesetz</strong>e geworden“. 179<br />

Was uneindeutig scheint, selbst wenn es eindeutig ist, kann nicht<br />

leisten, was Positivität vermag: Rechtssicherheit.<br />

Auch diese Ambivalenz, wie Hobbes sie vorführt und wie sie sich in den Interpretationen<br />

Höffes und Kerstings niederschlägt, liesse sich meiner Ansicht nach über die im letzten<br />

Kapitel beschriebene Vorrangigkeit zu naturgesetzlichen Gunsten auflösen. Doch wurzelt die<br />

Ambivalenz tiefer, denn was nachträglich als Widerstreit zwischen dem Naturgesetz und<br />

einem ihm äusseren Absolutismus erscheint, findet seinen Grund in der Struktur der<br />

Naturgesetze selbst. Es ist das oszillierende Moment zwischen Billigkeit und<br />

Vertragseinhaltung, welches das natürliche <strong>Gesetz</strong> auch dort dunkel macht, wo man es einer<br />

unparteiischen Betrachtung unterzieht. Die ambivalente Konstellation zwischen Prinzipialität<br />

und Aktualität wird der Schwebe trotz aller aufgezeigten Vorrangigkeit deshalb nicht<br />

entzogen, weil das positivistische Element innerhalb des natürlichen <strong>Gesetz</strong>es eine Stütze<br />

erhält.<br />

Um die Ambivalenz zu rechtfertigen, könnte man argumentieren, dass ein Vorrang keinen<br />

Entscheid, nicht die Vernichtung der Alternative, sondern eine Tendenz meint im doppelten<br />

Sinne von Spannung und Neigung: Auch dort, wo eine Neigung zu verbuchen ist, bleibt die<br />

Spannung bestehen. Die Unentschiedenheit bräuchte auf diese Weise nicht als Versäumnis<br />

aufgefasst zu werden, da Hobbes mit ihr der Struktur Rechnung trägt, in der er das Verhältnis<br />

von natürlichem und positivem <strong>Gesetz</strong> anlegt. Die enge Verwobenheit lässt es nicht zu, dass<br />

das Vorrangige dasjenige, dem es den Rang abläuft, vollends ausmerzt. Vielmehr meldet sich<br />

das Nachrangige stets von neuem in der ihm eigenen Vorrangigkeit.<br />

Und doch fragt sich, weshalb das Nachrangige seinen spezifischen Vorrang gerade in der<br />

ihm fremden Sphäre des natürlichen <strong>Gesetz</strong>es verankern muss. Ist die Aufnahme des<br />

schlichten und positivistisch inhaltsleer gehaltenen Gebots des pacta sunt servanda der Preis,<br />

den das Naturgesetz für die seit Albericus Gentilis und Hugo Grotius betriebene Entlassung<br />

<strong>Gott</strong>es bei Hobbes zu bezahlen hat? Wird die leer gewordene Stelle, die einst die göttliche<br />

179 Hobbes: Leviathan, 1991, S. 211.<br />

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