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Gesetz ohne Gott

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aber auch eine Richtung weisen, in die konstruiert und fortgeschritten werden soll, wo sie<br />

selbst keinen neuen Grund liefert? Die Dekonstruktion als Gerechtigkeit kommt Derrida als<br />

die Verantwortung in den Blick, das historisch Besondere gegenüber der Allgemeinheit der<br />

Regel im Gedächtnis zu halten und in Rücksicht zu nehmen. 310 Gerechtigkeit richtet sich an<br />

die je verschiedenen Eigenheiten [singularités], „an die Besonderheit des anderen,<br />

unbeschadet oder gerade aufgrund ihres Anspruchs auf Universalität.“ 311<br />

Der universale Anspruch lässt sich in enge Verbindung bringen mit dem<br />

Unendlichkeitscharakter, den Derrida der Forderung nach Gerechtigkeit beilegt; „unendlich<br />

ist diese Gerechtigkeit, weil sie sich nicht reduzieren, auf etwas zurückführen lässt,<br />

irreduktibel ist sie, weil sie dem Anderen gebührt, dem Anderen sich verdankt; dem Anderen<br />

verdankt sie sich, gebührt sie vor jedem Vertragsabschluss, da sie vom Anderen aus, vom<br />

Anderen her gekommen, da sie das Kommen des Anderen ist, dieses immer anderen<br />

312<br />

Besonderen.“ Gerechtigkeit beruht für Derrida, der hier an Lévinas anknüpft, keineswegs<br />

auf Gleichheit, sondern auf absoluter Asymmetrie. 313 Stets gilt es deshalb das Eigene<br />

angesichts des Anderen zu prüfen und vom Anderen her zu befragen, nicht zuletzt die eigene<br />

Bestimmung der Gerechtigkeit, die dort zu Ungerechtigkeiten führen muss, wo dogmatisch<br />

bei ihr verharrt wird. 314<br />

Aufgrund ihrer Orientierung am Anderen, dem die allgemeine<br />

Rechtsregel nicht gerecht werden kann, eignet der Gerechtigkeit ein Zug von<br />

Unberechenbarkeit. Damit ist sie der Gegenwart entzogen, deren in der Vergangenheit<br />

gesetzte Normen mit dem Anderen, der erst kommt, nicht rechnen können, da sie ihn noch<br />

nicht in das berechenbare Recht einbezogen haben:<br />

„Die Gerechtigkeit ist der Zukunft geweiht, es gibt Gerechtigkeit nur dann, wenn sich etwas<br />

ereignen kann, was als Ereignis die Berechnungen, die Regeln, die Programme, die<br />

Vorwegnahmen usw. übersteigt. Als Erfahrung der absoluten Andersheit ist die Gerechtigkeit<br />

undarstellbar, doch darin liegt die Chance des Ereignisses und die Bedingung der<br />

Geschichte.“ 315<br />

Mit dieser Trennung der Gerechtigkeit vom Recht als dem Verallgemeinerbaren bewegt sich<br />

Derrida in seiner „Übung in dekonstruktivem Lesen“ 316<br />

, der er Benjamins „Zur Kritik der<br />

Gewalt“ unterzieht, nahe an dessen Gerechtigkeit der Zwecke heran. Benjamin trifft eine<br />

Unterscheidung zwischen der Allgemeingültigkeit, die analytisch aus der Gerechtigkeit folgt,<br />

und der Verallgemeinerungsfähigkeit, die ihr widerspricht: „Denn Zwecke, welche für eine<br />

310<br />

Vgl. ebd., S. 40f.<br />

311<br />

Ebd., S. 41.<br />

312<br />

Ebd., S. 51.<br />

313<br />

Vgl. ebd., S. 45f.<br />

314<br />

Vgl. ebd., S. 41.<br />

315<br />

Ebd., S. 57. Zur Unterscheidung von Recht als Element der Berechnung und unberechenbarer Gerechtigkeit,<br />

die mit dem Unberechenbaren zu rechnen fordert, vgl. ebd., S. 33f.<br />

316<br />

Ebd., S. 68.<br />

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