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Gesetz ohne Gott

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schliesslich ihr Gemeinsames aus, sondern nicht weniger der Bezug beider zur force. Gleich<br />

am Anfang macht Derrida deutlich, dass enforceability, Durchsetzbarkeit und Anwendbarkeit,<br />

nicht allein dem Recht eignet, sondern auch die Gerechtigkeit, will sie zur Gerechtigkeit des<br />

Rechts werden, mit Kraft und Gewalt muss aufwarten können. 325<br />

Gerade über das Moment<br />

der Gewalt treten Gerechtigkeit und Recht bei Derrida in einen dauernden Bezug.<br />

Damit gerät freilich vieles ins Wanken. Die Unterscheidung zwischen Recht und<br />

Gerechtigkeit, die Derridas <strong>Gesetz</strong>eskraft über weite Strecken leitet, scheint implizit und doch<br />

abrupt zurückgenommen, was seine Leser zunächst überraschen mag: „Diese Einsicht,<br />

wonach die Gerechtigkeit selbst es erfordert, ‚dass sie in einem Recht sich einrichtet’, muss<br />

nach aller vorangegangenen Gerechtigkeitseuphorie und damit verbundener Rechtskritik wie<br />

326<br />

ein Fremdkörper erscheinen.“ Gewiss zielt dekonstruktives Fragen darauf, allgemein<br />

hingenommene Gegensätze zu destabilisieren und hergebrachte Werte aus dem Gleichgewicht<br />

zu bringen, um sie komplizierter und paradoxer zu formulieren. 327 Doch schien zugleich<br />

ausgemacht, dass die Dekonstruktion von dieser Bewegung ausgenommen bliebe,<br />

undekonstruierbar sei. Undekonstruierbar ist aber, weil Dekonstruktion Gerechtigkeit ist, auch<br />

letztere. 328 Was nun, wenn Derrida die Gerechtigkeit in die Nähe des dekonstruierbaren<br />

Rechts rückt und Dekonstruktion nicht durchwegs mit Gerechtigkeit identifiziert, sondern sie<br />

vielmehr zwischen Recht und Gerechtigkeit verortet? 329<br />

Wie das Verhältnis von Recht,<br />

Dekonstruktion und Gerechtigkeit fassen?<br />

In einem zweifachen Schritt lässt sich die enge Relation zwischen Recht und Gerechtigkeit<br />

als eine Beziehung des Unterscheidens begreifen: Gegen das Recht richtet sich die<br />

Gerechtigkeit, weil sie von ihm abweicht und seinem Allgemeinen das besondere Andere<br />

gegenüberstellt; ins Recht hinein strebt sie, weil die Veränderung des Rechts das alleinige<br />

Mittel ihrer Verwirklichung darstellt. Gerechtigkeit ist dem Besonderen nur dort zu<br />

verschaffen, wo es ins Recht gesetzt wird. Nicht zuletzt lässt sich von hier auch ein adäquates<br />

Verständnis des Begriffs der Dekonstruktion gewinnen. Als Gerechtigkeit vermag die<br />

Dekonstruktion im Sinne eines Korrektivs auf das dekonstruierbare Recht einzuwirken. Damit<br />

325<br />

Vgl. ebd., S. 11f. sowie ebd., S. 21f. Dass die Gerechtigkeit, will sie sich selbst gerecht werden, es nicht bei<br />

einem kontemplativen Vorlegen von Gründen belassen kann, stellt auch Thomas-Michael Seibert heraus, wenn<br />

er die besondere Leistung der Dekonstruktion aufzuzeigen versucht: „Aber auch die Gründe sind nicht in<br />

irgendeiner reinen, von Gewalt nicht kontaminierten Form zu haben. Insbesondere das reine Nachdenken über<br />

Gründe oder deren akademische Bearbeitung eröffnet nicht so etwas wie eine privilegierte Beziehung zur<br />

Gerechtigkeit, denn sie bleibt kraftlos.“ (Thomas-Michael Seibert: „Dekonstruktion der Gerechtigkeit: Nietzsche<br />

und Derrida“, in: Sonja Buckel, Ralph Christensen und Andreas Fischer-Lescano (Hg.): Neue Theorien des<br />

Rechts, Stuttgart: Lucius & Lucius 2006, S. 29-55, 53.)<br />

326<br />

Thomas Osterkamp: Juristische Gerechtigkeit. Rechtswissenschaft jenseits von Positivismus und Naturrecht<br />

(Grundlagen der Rechtswissenschaft, Bd. 2), Tübingen: Mohr Siebeck 2004, S. 260.<br />

327<br />

Vgl. dazu Derrida: <strong>Gesetz</strong>eskraft, S. 17.<br />

328<br />

Vgl. ebd., S. 30.<br />

329<br />

Vgl. ebd., S. 44, wo Derrida der Dekonstruktion zwischen Recht und Gerechtigkeit „ihr bevorzugtes<br />

Ungleichgewicht“ zuweist.<br />

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