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Gesetz ohne Gott

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würde, was ihm als programmatisch schon angelastet werden könnte. Er fragt nach dem<br />

Hauptmerkmal der herrschenden Rechtssysteme und entdeckt es in der Positivität. Da er diese<br />

im Sinne tatsächlicher Wirksamkeit deutet, findet er sie auf dem Boden souveräner<br />

Entscheidung. Dezision als Positivität bestimmendes Faktum gerät in unaufdringlicher<br />

Unabweisbarkeit zur Grundlage von Recht schlechthin. Schien das Positivistische zunächst<br />

jedem der drei juristischen Denkarten zugehören zu können und jeder Typ auf seine Weise<br />

vertretbar, wird mit der dezisionistischen Fundierung des Positivismusbegriffs das Recht<br />

insgesamt auf die Seite der Entscheidung geschlagen. Die Pointe der Schmittschen Wendung<br />

liegt darin, dass sich das spezifisch dezisionistische Moment unauffällig zum eigentlichen<br />

positivistischen Prinzip erhebt, als das es im Nachhinein offen agiert.<br />

Jedes weitere Phänomen, das mit der Bezeichnung „Positivismus“ belegt wird, nimmt sich<br />

angesichts von Schmitts dezisionistischem Vorbehalt als bloss abkünftig und unvollständig<br />

aus. Frappant ist nun, dass Schmitts zweite Verwendung des Begriffs auf eben jene Strömung<br />

geht, die sich selbst positivistisch nennt und gemeinhin so bezeichnet wird. Schmitt etikettiert<br />

sie als Normativismus und scheint den Positivismusbegriff nur im Rückgriff auf die<br />

Eigenbezeichnung zu gebrauchen; dies insbesondere dort, wo er die „positivistische<br />

Nichtunterscheidung von Recht und <strong>Gesetz</strong>“ markiert. 231 Neben seinen primären<br />

Positivismusbegriff, der von der Tradition dezisionistisch abweicht, tritt der eigentlich<br />

herkömmliche, zur Bezeichnung von gesetzlich gesetztem Recht verwendete Begriff, der<br />

unter dem Aspekt seiner Abkünftigkeit eine pejorativ-polemische Wendung erfährt. Um<br />

diesen zweiten vom ersten zu trennen, spricht Schmitt zuweilen, keineswegs aber<br />

durchgehend, von legalitärem Positivismus 232 , positivistischem Legalitätsdenken 233 oder<br />

<strong>Gesetz</strong>espositivismus 234<br />

.<br />

Schmitts Kritik am Positivismus Kelsenscher Prägung muss vor dem Hintergrund dieser<br />

impliziten Begriffsunterscheidung in Betracht kommen. Auf welche Seite des Begriffs Kelsen<br />

zu rechnen ist, lässt Schmitt ausser Zweifel: „Die von H. Kelsen geführte sog. Wiener Schule<br />

hat den ausschliesslichen Herrschaftsanspruch eines abstrakten Normativismus in der Zeit von<br />

235<br />

1919-1932 mit besonderer ‚Reinheit’ verfochten.“ Ein zentraler Einwand zielt dahin, dass<br />

231<br />

Vgl. ders.: Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens, S. 25. Die „positivistische<br />

Identifizierung von Recht und <strong>Gesetz</strong>“ beschreibt Schmitt auch ebd., S. 12f.<br />

232<br />

Vgl. ebd., S. 26.<br />

233<br />

Vgl. ebd.<br />

234<br />

Vgl. ders.: Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes, S. 103.<br />

235<br />

Ders.: Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens, S. 13, Anm. 3. Dieser Rechtsauffassung<br />

setzte sich Schmitt, die nationalsozialistische Jurisprudenz im Rücken, entschieden entgegen und stellte dem<br />

Kelsenschen Positivismus vorsorglich eine Grabplatte mit Todesjahr 1932 aus; 1933 hatte Kelsen aufgrund<br />

jüdischer Abstammung seine Kölner Professur aufgeben müssen. Der politisch-polemische Hieb gegen einen<br />

normativistischen Positivismus zeigt sich in Schmitts nachgestellter Intentionserklärung am Ende der 1934<br />

erschienenen Schrift: „Erst nach diesem kurz zusammenfassenden Überblick über die gegenwärtige Lage der<br />

deutschen Rechtswissenschaft kann die tiefe und entscheidende Bedeutung des neuen Begriffs vom Juristen<br />

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