Gesetz ohne Gott
Gesetz ohne Gott
Gesetz ohne Gott
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Die beiden divergierenden Linien, die Hobbes hinsichtlich der <strong>Gesetz</strong>lichkeit des<br />
Naturgesetzes verfolgt, zeigen seine Unsicherheit in der Frage, was ein <strong>Gesetz</strong> wesentlich<br />
charakterisiert. Auf der einen Seite leitet ihn das Bewusstsein, dass nur klare<br />
Rechtsverhältnisse den Frieden garantieren können und dass klare Verhältnisse nur über<br />
gesetztes Recht gewonnen werden, weshalb er die Geltung der <strong>Gesetz</strong>e an das Faktum ihrer<br />
Positivität anzuschliessen sucht. Auf der anderen Seite hat jede gesetzte Rechtsordnung ihren<br />
Grund im natürlichen <strong>Gesetz</strong>, so dass er diesem eine vorrangige, nichtpositive, aber für jede<br />
Positivität relevante Geltung zuschreiben möchte. Das natürliche <strong>Gesetz</strong> hat Geltung und<br />
<strong>Gesetz</strong>lichkeit dadurch, dass es gebietet, es zum positiven <strong>Gesetz</strong> zu machen, welchem<br />
wiederum aufgrund dieser Positivität Geltung und <strong>Gesetz</strong>lichkeit zukommt. Es scheint mir<br />
sinnvoll, vorläufig zweierlei Typen von Geltung und <strong>Gesetz</strong>lichkeit zu unterscheiden, deren<br />
genauer Zusammenhang in Kapitel 3.3.1 herauszuarbeiten ist. Da Hobbes bewusst ist, dass<br />
die <strong>Gesetz</strong>lichkeit des Naturgesetzes nicht mit der positiven in eins zu setzen ist, neigt er<br />
stellenweise dazu, dem Naturgesetz <strong>Gesetz</strong>lichkeit pauschal abzusprechen, an seiner Geltung<br />
aber dennoch festzuhalten.<br />
Anders als bei Hobbes wird für Strauss der Zweifel an der <strong>Gesetz</strong>lichkeit des natürlichen<br />
<strong>Gesetz</strong>es hingegen nicht im Vergleich mit dem positiven <strong>Gesetz</strong> der bürgerlichen Sphäre<br />
manifest, sondern verbleibt im Rahmen des Natürlichen und vollzieht sich in der Okkupation<br />
des dortigen <strong>Gesetz</strong>esbegriffs durch den dortigen Rechtsbegriff. Das natürliche <strong>Gesetz</strong> wird<br />
als Nachträglichkeit abgetan und vom vorrangigen Rechtsbegriff überlagert. Indem es nicht<br />
als eigenständige Grösse erscheint, wird es vom Recht nicht bloss überschattet, sondern ist<br />
insgesamt nicht mehr als der Schatten des Rechts. Indessen tangieren Hobbes’ Vorbehalte<br />
gegen den Begriff des Naturgesetzes die Unterscheidung zwischen Recht und <strong>Gesetz</strong> in keiner<br />
Weise, sondern belassen es bei einer Sache zwischen <strong>Gesetz</strong> und <strong>Gesetz</strong>.<br />
Es müssen Strauss deshalb andere Gründe in den Blick kommen, um den Vorrang des<br />
natürlichen Rechts vor dem natürlichen <strong>Gesetz</strong> zu behaupten. Zur Höherwertung des Rechts<br />
führt ihn in erster Linie die Feststellung, dass das autonome Individuum den Ausgangspunkt<br />
der Hobbesschen Theorie bildet. 77 Darin ist Strauss zuzustimmen, denn zweifellos wurzelt<br />
Hobbes’ Konzeption des Gesellschaftsvertrags im Widerspruch gegen die aristotelische<br />
Annahme, dass der Staat von Natur her bestehe und ursprünglicher sei als der Einzelne.<br />
Seinen Grund hat dies nach Aristoteles darin, dass das Ganze notwendigerweise vor seinen<br />
Teilen existiere, weil letztere keine Autarkie behaupten können. 78<br />
Während Aristoteles den<br />
77<br />
Vgl. Strauss: Naturrecht und Geschichte, S. 189f.<br />
78<br />
Vgl. dazu Aristoteles: Politik, 1253 a: „ἐκ τούτων οὖν φανερὸν ὅτι τῶν φύσει ἡ πόλις ἐστί, καὶ ὅτι ὁ ἄνθρωπος<br />
φύσει πολιτικὸν ζῷον, καὶ ὁ ἄπολις διὰ φύσιν καὶ οὐ διὰ τύχην ἤτοι φαῦλός ἐστιν, ἢ κρείττων ἢ ἄνθρωπος· [...].<br />
διότι δὲ πολιτικὸν ὁ ἄνθρωπος ζῷον πάσης μελίττης καὶ παντὸς ἀγελαίου ζῴου μᾶλλον, δῆλον. [...] καὶ πρότερον<br />
δὲ τῇ φύσει πόλις ἢ οἰκία καὶ ἕκαστος ἡμῶν ἐστιν. τὸ γὰρ ὅλον πρότερον ἀναγκαῖον εἶναι τοῦ μέρους· [...]. ὅτι μὲν<br />
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