Gesetz ohne Gott
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Gesetz ohne Gott
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noch im Darüber oder Daneben des Rechts steht, sondern dem Recht selbst wesentlich<br />
zugehört. 247<br />
Seinen personalistischen Dezisionismus, den er Kelsens normativistischen Bemühungen<br />
entgegenhält, liest Schmitt insbesondere an Hobbes ab, der ihm schon in der Politischen<br />
Theologie von 1922 als der „klassische Vertreter des (wenn ich dies Wort bilden darf)<br />
248<br />
dezisionistischen Typus“ gilt. Schmitts Zusammenführung von Dezisionismus und<br />
Positivismus hat ihr Mittelstück bei Hobbes, der dadurch in gleicher Weise zum Anti-Kelsen<br />
wie zum Anti-Naturrechtler gerät. Dies geschieht in einer überaus aktiven Interpretation, die<br />
gewisse Elemente in den Vordergrund rückt, um andere, nicht weniger zentrale, an den Rand<br />
zu drängen.<br />
Angelpunkt der Deutung bildet stets das Hobbessche Diktum: Autoritas, non veritas facit<br />
249<br />
legem. Sowohl den Vorrang der Autorität als auch den Verlust von Wahrheit strapaziert<br />
Schmitt dabei über Gebühr. Die Stärkung der Autorität unternimmt Schmitt, indem er ihre<br />
Bindung an den zugrunde liegenden Vertrag lockerer gestaltet. Gewiss hat der Hobbessche<br />
Staat auch für Schmitt seine Grundlage im Vertrag und stellt damit das Ergebnis<br />
menschlichen Verstandes und menschlicher Kraft dar; doch spielt Schmitt von hier dem<br />
Souverän seine Selbständigkeit zu, indem er einwirft, „dass das Ergebnis mehr und eigentlich<br />
etwas anderes ist, als ein von blossen Individuen geschlossener Vertrag bewirken könnte.“ 250<br />
Der Konsens aller mit allen sei lediglich anarchistischer Sozial-, nicht aber Staatsvertrag; die<br />
souverän-repräsentative Person, welche die Seele des grossen Menschen Staat, des μάκρος<br />
ἄνθρωπος, bilde und allein den Frieden garantiere, komme nicht durch, sondern nur anlässlich<br />
des Konsenses zustande: „Die angehäufte Angst der um ihr Leben zitternden Individuen ruft<br />
allerdings den Leviathan, eine neue Macht, auf den Plan; aber sie beschwört den neuen <strong>Gott</strong><br />
mehr, als dass sie ihn schafft.“ 251 Die Kraft und überhaupt das Wesen des Souveräns lassen<br />
sich nicht auf die addierte Kraft aller beteiligten Einzelwillen hinunterrechnen; gegenüber den<br />
beschwörenden Individuen als Einzelnen und als Summe erweist sich der neue <strong>Gott</strong> als, wenn<br />
auch nicht metaphysisch, so doch juristisch transzendent. 252<br />
247<br />
Vgl. ebd., S. 19, wo die Dezision als „spezifisch-juristisches Formelement“ vorgestellt wird.<br />
248<br />
Ebd., S. 44.<br />
249<br />
Der Satz findet sich im 26. Kapitel der lateinischen Fassung des Leviathan: „In Civitate constituta, Legum<br />
Naturae Interpretatio non à Doctoribus & Scriptoribus Moralis Philosophiae dependent, sed ab Authoritate<br />
Civitatis. Doctrinae quidem verae esse possunt; sed Authoritas non Veritas facit Legem.“ (Hobbes: Leviathan,<br />
1668, S. 132f.) Schmitt zitiert die Wendung im Eingang seiner kürzeren Hobbes-Auslegungen in der Politischen<br />
Theologie (S. 44) und in Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens (S. 23) sowie an zwei<br />
prominenten Stellen der ausschliesslich mit Hobbes befassten Schrift Der Leviathan in der Staatslehre des<br />
Thomas Hobbes (S. 68 und 82).<br />
250<br />
Ders.: Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes, S. 51.<br />
251<br />
Ebd., S. 52.<br />
252<br />
Vgl. ebd.<br />
71