Gesetz ohne Gott

creatio nihili causa. Nur wo eine normative Richtschnur fehlt, springt eine Entscheidung in
die Lücke. In jedem anderen Fall handelt es sich, wie zu zeigen sein wird, um blosse
Zurechnung hin zu einer Norm, wobei es nichts zu entscheiden, nur zu vollziehen gibt. Kelsen
wie Schmitt lehnen die naturrechtliche Voraussetzung naturgegebener normativer
Orientierungspunkte ab. Der Aporie des Naturrechts, die in der Existenz verschiedener sich
widersprechender Entwürfe von allein und ewig gültigen Normen besteht, setzen sie die
Voraussetzung eines normativen Vakuums entgegen. 262
Dass daraus die Notwendigkeit
unbegründeter Entscheidung erwächst, wird von Kelsen verdrängt, von Schmitt eingesehen,
belassen und bejaht. Ein dritter Weg besteht im Versuch, das Faktum prinzipieller
Unentscheidbarkeit einzusehen und durch Begründungen für die getroffene Wahl zu mildern.
Dass dieser von Luhmann, vor allem aber im Anschluss an ihn unternommene Versuch immer
schon zu spät kommt und deshalb keinen Ausweg aus dem Dezisionismus bieten kann, soll
das folgende Kapitel darlegen.
262 Die Pluralität naturrechtlicher Konzepte verwendet Kelsen als Argument für das Versagen des Naturrechts,
dem positiven Recht einen festen Massstab zu bieten, und damit als Argument gegen naturrechtliche Geltung
überhaupt; vgl. Kelsen: Reine Rechtslehre, S. 226f.: „Sobald die Naturrechtslehre daran geht, den Inhalt der der
Natur immanenten, aus der Natur deduzierten Normen zu bestimmen, gerät sie in die schärfsten Gegensätze. Ihre
Vertreter haben nicht ein Naturrecht, sondern mehrere sehr verschiedene und einander widersprechende
Naturrechte proklamiert. [...] Die Naturrechtslehre, so wie sie tatsächlich entwickelt wurde und nicht anders
entwickelt werden kann, ist weit davon entfernt, das feste Kriterium zu liefern, das von ihr erwartet wird.“
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