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Gesetz ohne Gott

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falsche Urteile bei unveränderlichen <strong>Gesetz</strong>en wie den natürlichen für den gleichen oder einen<br />

anderen Richter in allen späteren gleichgearteten Fällen nicht <strong>Gesetz</strong>.“ 155<br />

Die Einschränkung „in allen späteren [Hervorhebung J.H.] gleichgearteten Fällen“ zeigt nun<br />

aber, dass der Spruch, wenn er auch in Zukunft nicht als <strong>Gesetz</strong> gelten kann, für dieses Mal<br />

als verbindlich zu nehmen ist. Denn die jeweilige richterliche Entscheidung gilt als „eine<br />

ausreichende Verwirklichung des natürlichen <strong>Gesetz</strong>es in diesem individuellen Fall“, selbst<br />

wo ein Betroffener meint, ihm sei „nach dem natürlichen <strong>Gesetz</strong>, das heisst nach allgemeinen<br />

Billigkeitsgrundsätzen, ein Unrecht geschehen“. 156<br />

Man mag sich fragen, weshalb diese Verwirklichung ausreichend sei. Mir scheint die<br />

Antwort im Hinweis auf den Souverän zu liegen: Das Urteil stellt eine Auslegung des<br />

natürlichen <strong>Gesetz</strong>es kraft souveräner Autorität dar, wodurch es selbst zum Urteil des<br />

157<br />

Souveräns wird, „das in diesem Augenblick für die klagenden Parteien <strong>Gesetz</strong> ist.“ Vom<br />

Souverän wissen wir zum einen, dass seine Einsetzung vom natürlichen <strong>Gesetz</strong> aus Gründen<br />

der Rechtssicherheit geboten ist, zum anderen bemerkt Hobbes an wenig entfernter Stelle,<br />

dass man für die Person des Staates zunächst anzunehmen habe, dass seine Worte und<br />

Handlungen „immer mit der Billigkeit und der Vernunft übereinstimmen.“ 158<br />

Der<br />

Zusammenhang dieser Feststellungen, welche beide die Naturgesetzlichkeit des Souveräns<br />

erweisen wollen, ist leicht zu finden. Denn gerade die im Hinblick auf ihn geübte<br />

Vernunftvermutung vermag der friedensnotwendigen Rechtssicherheit Vorschub zu leisten,<br />

indem sie den Zweifel an der Richtigkeit seines Urteils aufschiebt. Die ausreichende<br />

Verwirklichung des natürlichen <strong>Gesetz</strong>es ist demnach dadurch garantiert, dass eine souveräne<br />

Entscheidung dem natürlichen <strong>Gesetz</strong> mittelbar auch dort entspricht, wo sie ihm unmittelbar<br />

zuwiderläuft.<br />

Das verschränkte Verhältnis der beiden <strong>Gesetz</strong>estypen gewinnt vor dem Hintergrund<br />

dieser Beobachtungen der souveränen <strong>Gesetz</strong>estätigkeit feinere Umrisse: In seinen<br />

bürgerlichen Erlassen und Urteilen hat der Souverän prinzipiell das Nachsehen hinter dem<br />

natürlichen <strong>Gesetz</strong>. Zugleich erzielt er aktuell auch mit einer falschen Auslegung des<br />

natürlichen <strong>Gesetz</strong>es eine ausreichende Verwirklichung desselben, da sein Urteil die<br />

Rechtssicherheit erhält, während die Absenz eines verbindlichen Entscheids unweigerlich in<br />

ein neues bellum omnium in omnes münden müsste. Oder anders formuliert: Angesichts der<br />

155<br />

Ebd., S. 212. Wenn Wolfgang Kersting im Hinblick auf das gesetzliche Interpretations- und<br />

Definitionsmonopol des Souveräns das Hobbessche Letztinstanzlichkeitsargument als „antinaturrechtlich“<br />

bezeichnet, da es den Souverän nicht an vertragliche Übereinkünfte und naturrechtliche Gerechtigkeitsnormen<br />

binde, trägt er meines Erachtens der Bedeutung der Billigkeit an dieser Stelle nicht genügend Rechnung; vgl.<br />

dazu Kersting: Hobbes zur Einführung, S. 190f.<br />

156<br />

Hobbes: Leviathan, 1991, S. 210.<br />

157<br />

Ebd., S. 212.<br />

158<br />

Ebd., S. 209.<br />

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