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Gesetz ohne Gott

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Die dargestellten Überlegungen Derridas müssen dabei nicht beiseite geschoben, können<br />

vielmehr vertieft werden, wozu zwei miteinander zusammenhängende Übereinstimmungen<br />

zwischen Hobbes und Derrida den Anlass geben. Wenn Hobbes zwar die körperliche und die<br />

geistige Ähnlichkeit unter den Menschen zum Ausgangspunkt nimmt, um als neuntes der<br />

natürlichen <strong>Gesetz</strong>e zu formulieren, jeder habe den Anderen für Seinesgleichen von Natur aus<br />

anzusehen, so drückt sich im Gebot der Billigkeit doch eine Gleichbehandlung aus, die wie<br />

Derridas an Alterität orientierte Gerechtigkeit ein Moment des Unberechenbaren einschliesst,<br />

das der berechneten Allgemeinheit des Rechts entgegensteht. 346<br />

Billigkeit fordert das<br />

Erwägen der konkreten Situation und ihren Einbezug in den rechtlichen Entscheid. Darin<br />

zeigt sich als weitere Gemeinsamkeit die enge Verknüpfung von Recht und Gerechtigkeit bei<br />

Derrida bzw. von natürlichem und bürgerlichem <strong>Gesetz</strong> bei Hobbes. Denn Gerechtigkeit und<br />

Billigkeit, die als Anwälte des Abweichenden fungieren, treten nicht als Alternative zum<br />

positiven Recht auf, sondern suchen ihren Ort innerhalb des Systems regelhafter Normen.<br />

Eben dieser verzahnte Gegensatz von Universalität und Differenz findet sich in Hobbes’<br />

Begriff der menschlichen Natur wieder. In der Anthropologie hat die Dialektik ihre Wurzeln,<br />

in der Konzeption von natürlichem und bürgerlichem <strong>Gesetz</strong> trägt sie ihre Früchte. Der<br />

mehrschichtige Naturbegriff lässt sich am deutlichsten im Ausgang von Hegel erläutern.<br />

Dieser hat in seinen Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie die säkulare<br />

Fundierung der Hobbesschen Konzeption in der menschlichen Natur erkannt und von<br />

früheren Entwürfen abgegrenzt: „Vorher wurden Ideale aufgestellt, oder Schrift oder positives<br />

Recht; Hobbes hat den Staatsverband, die Natur der Staatsgewalt auf Prinzipien<br />

347<br />

zurückzuführen versucht, die in uns selbst liegen, die wir als unsere eigenen anerkennen.“<br />

Zugleich hat Hegel auf die Doppeldeutigkeit dessen hingewiesen, was Hobbes als<br />

menschliche Natur beschreibt:<br />

„Der Ausdruck Natur hat diese Zweideutigkeit, dass Natur des Menschen seine Geistigkeit,<br />

Vernünftigkeit ist; sein Naturzustand ist aber der andere Zustand, dass der Mensch nach seiner<br />

Natürlichkeit sich benimmt. So benimmt er sich nach den Begierden, Neigungen usf.; das<br />

Vernünftige ist das Meisterwerden über das unmittelbar Natürliche.“ 348<br />

An diese Zweideutigkeit schliesst die Dialektik von Universalität und Differenz an. Denn<br />

während für Hobbes die Leidenschaften der Menschen nach Temperament, Gewohnheiten<br />

und Kenntnissen variieren, liegt in der schlichten Vernunfteinsicht, dass Frieden allein<br />

346 Zur Gleichheit der körperlichen und mehr noch der geistigen Fähigkeiten vgl. Hobbes: Leviathan, 1991, S.<br />

94; das neunte Gebot der Anerkennung der Gleichheit Anderer findet sich ebd., S. 117f. Zur Billigkeit vgl. ebd.,<br />

S. 115f. und 118f. sowie meine Ausführungen in Kapitel 3.3.1.<br />

347 Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, Werke in 20 Bd.en,<br />

Bd. 20, auf der Grundlage der Werke von 1832-1845 neu ed. Ausg., Red. Eva Moldenhauer und Karl Markus<br />

Michel, 4. Aufl., Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2003, S. 226.<br />

348 Ebd., S. 228.<br />

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