Gesetz ohne Gott
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5.3 Naturrecht im Dreieck von Vernunft, Gesellschaft und Idiosynkrasie<br />
Das vernünftige Handeln selbstbestimmter Menschen bildet die Bedingung, Menschen, wie<br />
sie in ihren Handlungen in Erscheinung treten, mit vernünftigen Mitteln zu verstehen und<br />
ihrem Handeln einen Sinn abzugewinnen. Vernunft stellt damit das Mittel des Verstehens der<br />
Natur dar und gehört zugleich zur erkannten Natur des Menschen selbst. Verständnis ist aber<br />
auch dem entgegenzubringen, was sich nicht reibungslos in die Kategorien des Allgemeinen<br />
bringen lässt. Diesen Gedanken habe ich anhand von Derridas Alteritätskonzept verfolgt und<br />
mit Hobbes’ Billigkeitsbegriff aufzunehmen versucht. Schliesslich gilt es den Menschen in<br />
seiner Sozialität zu fassen, die vernünftiges Handeln in historisch-kultureller Diversität zeigt<br />
und damit eine zweite Form von Alterität darstellt. 421<br />
Dieser Gedanke kann vom Historismus<br />
übernommen werden, <strong>ohne</strong> dass er dabei in eine zwingende Opposition zu gewissen<br />
feststehenden Vernunftprinzipien treten müsste. Denn bliebe keinerlei Gleichförmigkeit in der<br />
Rationalität, würde historisches Verstehen schwer denkbar, da auch eine historistische<br />
Intuition ihren Orientierungspunkt verlöre. Historisch-kulturelle Alterität, die als<br />
gesellschaftlich bestimmte Alterität der individuellen zur Seite tritt, ist bei Hobbes trotz der<br />
dargelegten sozialen Komponenten kaum angelegt und sein Billigkeitsbegriff würde<br />
überstrapaziert, wollte man das Postulat eines „Jedem-das-Seine“ nicht bloss<br />
innergesellschaftlich, sondern zwischen Gesellschaften über Zeit und Raum hinweg denken.<br />
Allgemeinmenschliche Vernunft, historisch-kulturelle Variation und individuelle<br />
Idiosynkrasie bilden Komplexe von absteigender Allgemeinheit. Eine Bestimmung der<br />
menschlichen Natur scheint mir nur möglich, wo sie alle Berücksichtigung finden. In welcher<br />
Weise ist aber dieser Begriff von Natur in einen naturrechtlichen Rahmen zu bringen?<br />
Was das Verhältnis von Vernunftnatur und gesellschaftlicher Diversität betrifft, hat Hans<br />
Heinz Holz hinsichtlich der Menschenrechtsdebatte in Auseinandersetzung mit dem Juristen<br />
Hermann Klenner einen Weg gewiesen, der zwischen der Verabsolutierung spezifizierter<br />
Vernunft auf der einen und historistischem Relativismus auf der anderen Seite verläuft. 422<br />
Aus der Individualität der Person allein lässt sich nach Holz ungeachtet der emphatischen<br />
Berufung auf die Menschenwürde kein Rechtsverhältnis herleiten, da jede Form des Rechts<br />
unter die allgemeine Figur menschlicher Gemeinschaft subsumiert ist, die bei Hegel als<br />
421 Dass Popper die Sozialität in selbstverständlicher Weise zur menschlichen Natur rechnet, wird darin deutlich,<br />
dass er sie als Binsenweisheit, „dass die Menschen immer in Gruppen leben“, zusammen mit der anderen, dass<br />
das Angebot gewisser Dinge knapp und das anderer Dinge unbegrenzt ist, zu den „trivialen Regelmässigkeiten“<br />
der Menschheitsgeschichte zählt; Popper: Das Elend des Historizismus, S. 6.<br />
422 Vgl. dazu die bereits zitierten Aufsätze von Holz: „Die regulative Idee des Menschenrechts“ und Klenner:<br />
„Apriorität, Historizität und Aktualität von Menschenrechten“.<br />
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